Viele Fotos, viele Berichte, wenige Quellen, keine offiziellen Unterlagen – die Fulvia-Sportgeschichte! Die Puzzlesteine zu einem Bild zusammengefügt – und bewertet.
Ich habe Sie in den letzten Jahren bereits mehrmals mit Details zur Sportgeschichte des Fulvia Coupés aus dem Reparto Corse Lancia gequält. Möglicherweise sind diese Details nur für wenige Verrückte interessant, doch die Reaktionen auf die bisherigen Berichte waren doch recht erfreulich. Da das Datenmaterial – eingesetzte Fahrzeuge laut Literatur, Erwähnungen in der Literatur und eine schier unübersehbare Zahl von Bildern von Zeitzeugen und Interessierten vor allem im Internet – nun zu einem hohen Prozentsatz Stand Frühjahr 2010 vollständig zu sein scheint, kann „man“ nun die Daten aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten.
Nach den Zusammenstellungen für mein Buch „Fulvia in Österreich“ aus dem Jahr 2009, den Berichten über die überlebenden Werks-Fulvias („Fulvia nowhere“) und den Einsatz von Söldnern in Turin interpretiere ich das Datenmaterial diesmal aus einer noch ausgefalleneren Sicht. In der englischen Literatur über die englischen Werks-Rallyeautos sind akribisch Einsätze und zum Teil auch Verbleib der Werkswagen zusammengestellt (Graham Robson über die Escorts und Austin Healeys sowie Peter Browning über die Minis). Für die Lancia-Werkswagen in der Großserienzeit = vor Stratos & Co gibt es solche Veröffentlichungen leider nicht. Die Frage, die ich mir gestellt hatte, lautete schlicht: Wie lange hielt eine Fulvia das Leben als Werks-Wagen durch (der spätere, kaum dokumentierte Einsatz als Muletto ist wohl nicht nachvollziehbar, die gezielte Vernichtung im Rallyecross will ich ignorieren)?
Anhand der Liste der nachvollziehbaren Starts zwischen 1965 und 1974 kann so eine Aufstellung der Sternschnuppen, Erfolgsfahrzeuge, braven Einsatzfahrzeuge, der nicht umzubringenden Fahrzeuge und der durch Unfälle ausgeschiedenen gemacht werden, die dann jeder in seine Richtung interpretieren kann. Die Einsätze der 1,2 HF und frühen 1,3 HF sind leider nicht vollständig nachvollziehbar, während bei der 1,6 HF nur noch wenige Lücken vorhanden sind (z.B. wenn das Fahrzeug an Privatfahrer vermietet worden war).
Die Einsatzzeiten wurden aus den Veranstaltungsdaten ermittelt. Den Graubereich, welche Fahrzeuge jetzt offiziell und regulär mit welcher Straßenzulassung unterwegs waren, will ich hier nicht ausloten. Das Reparto Corse hat laut Literatur zwanzig 1,6-Chassis ohne Fahrgestellnummer zusätzlich zu den bekannten Nummern erhalten, wie sollte aus 40 Jahren zeitlicher Entfernung das nachvollzogen werden können?
Verbal beschrieben, denn die Tabellen würden mehrere Seiten füllen, können aus rein persönlicher Sicht die untenstehenden zusammenfassenden Aussagen gemacht werden. Die ausgewählten Fotos zeigen jeweils die meist eingesetzten Fahrzeuge der drei Typen (Ausnahme TO 769484, für die ich kein bildschirmgerechtes Bild gefunden habe – Ersatz siehe oben).
Fulvia 1,2 HF zwischen November 1965 und Frühjahr 1967
- 39 Einsätze mit 15 Fahrzeugen
- 2 Siege durch Leo Cella
- Einsatzdauer maximal 1 ½ Jahre
- Meiste Einsätze mit # 1005 = TO 769484 (2.1966 bis 9.1967) – 5 mit einem Sieg San Martino di Castrozza 1966 sowie # 1009 = TO 769486 (2.1966 bis 11.1966) – 5 mit einem Sieg bei der Rallye Fiori 1966.
Stammpilot war Leo Cella, Ove Andersson kam 1966 zu Lancia ebenso wie Jorma Lusenius, Pauli Toivonen verstärkte 1967 die HF Squadra Corse bis Ende des Jahres.
Fulvia 1,3 HF zwischen Jänner 1967 und Herbst 1969
(die Grenze zur 1,2 HF ist fließend, da einige 1,2-Fahrzeuge auf 1,3 aufgerüstet wurden)
- 182 Einsätze mit 32 Fahrzeugen
- 30 Siege (Europameisterschaft 1969 Harry Källström)
- Einsatzdauer bis zu 2 Jahren, manchmal auch bis 1970
- Meiste Einsätze mit # 1237 = TO 953013 (eines der „Streitrösser der Trautmanns“ 11.1967 bis 3.1969) – 11, gleichauf mit # 1273 = TO 970370 (2.1968 bis 11.1969) und # 1282 = TO 970371 (der Fulvia von Pat Moss-Carlsson 1.1968 bis 3.1969).
- Erfolgreichste 1,3 HF: TO 953013 mit vier Siegen, mit 20 Fahrzeugen wurden die Siege errungen, davon neun durch Sandro Munari
Pat-Moss-Carlsson war eher die Ausnahme, denn es gab keine feste Zuordnung Fahrer-Fahrzeug (Sechs Einsätze von Jänner bis Juli 1966, danach fuhr sie # 1276).
Auch hier ist der Übergang zur 1,6 HF fließend, einige 1,3 wurden offiziell umgebaut, drei wurden zu den F&M-Spidern modifiziert.
Fulvia 1,6 HF zwischen Herbst 1969 bis April 1974
Abhängig von den Ausschreibungen der Bewerbe wurden 1,6 Prototypen bereits vor der FIA-Homologierung eingesetzt, es konnten allerdings keine Meisterschaftspunkte erreicht werden. Z.B. Tour de Corse, RACE Spanien.
- 192 Einsätze mit 40 Fahrzeugen
- 38 Siege (Markenmeisterschaft 1972)
- Einsatzdauer bis zu 3 Jahren
- Meiste Einsätze mit # 1003 = TO B51445 (9.1969 bis 7.1973) – 15, # 1320 = TO B99805 (1.1970 bis 7.1972) – 14, # 1004 = TO B51443 (8.1969 bis 9.1972).
- Die Siege wurden mit 19 Fahrzeugen errungen – 11 Siege für A. Ballestrieri, 10 für S. Munari, 5 für H. Källström und 4 für S. Lampinen.
Ich denke, das sollte fürs Grübeln reichen, ein Mehr erscheint übertrieben. Die vorhandenen Daten können als Grundlage für Detailrecherchen dienen, wenn jemand die Starts von bestimmten Fahrzeugen wissen will.
E. Marquart / 5.2010
Nachsatz: Ich habe versucht nach diesem Schema die Einsätze des Reparto Corse mit den Flavias nachzuvollziehen, was leider nur zu deutlich weniger aussagefähigen Zahlen geführt hat. Gibt es für die Fulvia den zitierten Datensumpf, ist es bei der Flavia eher ein flacher und trüber Tümpel.
Lieber Lancia Freund, ich kann nur entfernt den Aufwand ahnen, den es gemacht haben muß, die Daten für diesen Artikel zu sammeln und aufzubereiten. Und dann kommt nach 18 Jahre so ein anderer Spezialist und fragt mit dem Kennzeichen (TO 970370) das Internet ab und findet diese Ausführungen. Ich bin fündig geworden. Und habe gleich noch eine Frage: gibt es in der Literatur Quellen, die eine Teilnahme von Lancia beim Marathon de la Route 1967 (84 Stunden vom Nürburgring) belegen?
Sehr geehrter Henrik,
danke für Ihr Lob, die mühsame Suche nach verlässlichen Informationen über die Einsätze des Reparto Corse Lancia/HF Squadra Corse ist leider das Schicksal jedes Interessierten. Vor den beiden Büchern von Gianni Tonti 2013 gab es nur zwei Listen der eingesetzten Fulvias bei Weernink und Altorio, nicht mehr. Schicksal und Präparierungen der TO 970370 sind bei Tonti detailliert beschrieben.
Ad Marathon de la Route auf dem Nürburgring: Es gibt ein Buch Jean-Paul Delsaux, Marathon de la Route 1931-1971, dort findet man die Start- und Ergebnislisten. Lancia war offiziell 1968 und 1969 am Start, 1967 gab es private Fulvias aus den Niederlanden.
Gerne stehen wir für weitere Fragen zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
E. Marquart
Sehr geehrter Herr Marquart, ich bin auf der Suche nach ihren Büchern. Sie scheinen im Buchhandel bzw. beim Verlag vergriffen zu sein. Kann ich bei Ihnen direkt noch etwas erwerben? Mit besten Grüßen aus Wien, Franz
Sehr geehrter Herr Franz!
Meine Bücher sind leider nicht zu kaufen, da das Copyright der verwendeten Bilder den Verkauf verbietet. Entweder ist der Urheber nicht bekannt, dann ist die Verwendung gefährlich, oder die Kosten der Wiedergabe übersteigen einen eventuellen Verkaufserlös. Ich hatte meine Bücher im Bekanntenkreis oder auf Anfrage verschenkt, um den Copyright-Bestimmungen auszuweichen. Sehr geringe Auflagen. Ich werde Ihnen auf Ihre E-Mail-Adresse antworten.
MfG E. Marquart