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Nach unserem Beitrag über die verfügbaren FIA-Homologierungsblätter in der Rubrik „Technik“ im Februar 2019 wollen nun in einer kleinen Artikelreihe auf die Präparierungsmöglichkeiten des Reparto Corse Lancia für die von 1968 bis 1972 eingesetzten Fulvias zurückblicken: Federung – Räder und Reifen – Übersetzungen. Der erster Beitrag beschäftigt sich mit der Federung.
Im Zuge der Recherchen über die Präparierung der Fulvia Coupés für meine Fulvia-Bücher habe ich aufmerksam Gianni Tontis „Quaderni“ in seinem Buch „Reparto Corse Lancia“ aus dem Jahr 2013 studiert. Was wurde in den sechs Jahren (von November 1967 bis November 1972) unternommen, um im Rahmen der FIA-Bestimmungen Anhang J die Fahrzeuge für die unterschiedlichen Bewerbe anzupassen bzw. zu verbessern?
Nein, ich habe mich nicht geirrt. Gianni Tonti übernahm erst zur Tour de Corse 1967 das Reparto Corse, führte ab diesem Zeitpunkt seine Aufzeichnungen, ab Jänner 1973 allerdings nur noch taxativ ohne weitere Angaben zu den eingesetzten Fahrzeugen. Vor und nach dem genannten Zeitraum herrscht Finsternis, nichts Genaueres kann man irgendwo nachlesen.
Wenn man nun die Radaufhängungen der Fulvia (wie schon vorher bei der Flavia) betrachtet, sieht man nur Blattfedern, Stoßdämpfer und Stabilisatoren. „Moderne“ Konzepte wie Federbeine, Schraubenfedern etc. sucht man vergebens. Nachdem man sich bei Lancia anfangs der 1950er-Jahre langsam von der traditionellen Sliding-Pillar-Vorderradaufhängung verabschiedet hatte, erhielt die Flaminia-Baureihe vorne Schraubenfedern, hinten blieb es bei den Blattfedern. Alles neu machte Professor Fessia bei der Flavia, die kleine „Kopie“ Fulvia musste folgen. Vorne Querblattfedern mit Stabilisator, hinten Längsblattfedern ohne/mit Stabilisator und Panhard-Stab – Gleichteilstrategie.
Über die Sicherheitsstrategien von Professor Fessia ist ja schon ausreichend geschrieben worden, „schön langsam = sicher“. Flexibilität für Sporteinsätze stand sicher nicht im Pflichtenheft beider Modellreihen. Was nun im zivilen Verkehr bei überschaubaren Geschwindigkeiten ein guter Kompromiss zwischen exakter Radführung, Federungsverhalten, Komfort und Herstellungskosten war, passte im Sport nicht mehr. Die unterschiedlichen Anforderungen – Härte auf Asphalt und große Bodenfreiheit auf Naturstraßen – ließen sich in der Wechselwirkung der serienmäßigen Federn/Dämpfer nicht immer zufriedenstellend erfüllen. Dazu kam auch noch die mittelfristige Räder-Mode: 13 Zoll statt 14 oder 15 Zoll. Was auf Asphalt gut war, passte allerdings auf Sandstraßen nicht mehr. Siehe Erfolge von Porsche, VW, Saab usw., die immer bei den 15 Zoll-Rädern geblieben waren.
Der Mitbewerb von Lancia in den 1960er- und frühen 1970er-Jahren setzte mit Ausnahme der Marken BMC, Citroen und Saab auf Heckantrieb. Citroen und Saab spielten in einer anderen Klasse – je schlechter die Straße desto besser, trotz Untermotorisierung – als Lancia. Die Minis waren ein Phänomen, für die kompakte Kleinlimousine reichte eine relativ geringe Motorleistung, die schiere „Kleinheit“ machte in Verbindung mit der Handlichkeit die Straßen viel breiter. Wenn Sie nun die Phantomzeichnungen der Porsche 911, Fiat 124 Spyder, Ford Escort, Alpine Renault anschauen, finden Sie dort andere Aufhängungsprinzipien – und wenn wie bei Ford die hinteren Blattfedern nicht ausreichten, wurde eben eine andere hintere Aufhängung homologiert.
Schauen wir nun gemeinsam in den Ersatzteilkatalog der Serie 1 – 818. Die Tafeln 53 (Vorderfeder) und 56 (Hinterfeder) zeigen die Einzelteile und Zuordnung zu den Typen: Berlina – Coupé/Sport/1,6HF – 1,2HF/1,3HF. Vorne sieben Blätter, hinten sechs – unterschiedlich zwischen Berlinas und Coupé/HF/Sport.
Zu der Vorderfeder führt der Katalog drei engbeschriebene Seiten an, auf welchen die Zuordnung zu den erzeugten Chassisnummern angeführt sind, für die hintere Feder umfasst diese Ergänzung nur knapp eine Seite. Den vorderen Stabilisator gab es in zwei Ausführungen: 1,6HF und alle anderen Modelle sowie einen zusätzlich homologierten. Hinten gab es nur einen Stabilisator für die Coupés. Der Panhard-Stab („Achsstrebe“) war für alle Modelle der gleiche.
Tontis „Quaderni“ füllen 204 Seiten des Bandes 2 und 18 des Bandes 1, wo Sie die jeweiligen Präparierungen pro Bewerb und nochmals für ausgewählte Fahrzeuge nachlesen können. Diese Zweigleisigkeit war sinnvoll, wollte man die Informationen einmal pro Bewerb (für nächste Jahr) oder pro Fahrzeug an der Hand haben. Ich greife für diesen Bericht beispielhaft das Jahr 1969 heraus, in welchem sowohl 1,3 HF als auch 1,6 HF eingesetzt worden waren. Ich gehe weiters davon aus, dass Sie auf die Homologierungsblätter mit den zulässigen Verbesserungen zurückgreifen können.
Das Reparto Corse Lancia beschickte 1969 38 Bewerbe, betreute 84 Starts, bei denen 15 Siege und 36 Platzierungen unter den ersten Zehn erreicht wurden. Leider kenne ich nicht die Ausschreibungen der Bewerbe, wann, wo und warum welche Fahrzeuge eingesetzt wurden – unabhängig vom Zustand der Autos nach Einsätzen und eventuellen Beschädigungen.
Rundstreckenrennen:
- 24 Stunden von Daytona (Zagato)
- 12 Stunden von Sebring (Zagato und Coupé)
- Targa Florio (F&M Spezial)
- 1000 km Nürburgring (F&M Spezial)
- Mugello (F&M Spezial)
- Marathon de la Route (1,6 HF)
Europameisterschaftsrallyes
- Monte-Carlo (1,3 HF) Asphalt, Eis und Schnee
- [Mediterranée (1,6 HF)] Asphalt, Eis und Schnee
- Schweden (1,3 HF) Schnee
- Sanremo (1,3 HF) Schotter, Schnee
- Tulpen Rallye (1,3 HF) Asphalt
- Österreichische Alpenfahrt (1,3 HF) Schotter
- Vltava (ČSSR) (1,3 HF) Asphalt und Schotter
- Polen (1,3 HF) Asphalt und Schotter
- Coupe des Alpes (1,6 HF) Asphalt
- Spanien (1,3 HF und 1,6 HF) Asphalt, wenig Schotter
- RAC (1,3 HF und 1,6 HF) Schotter
Rallyes ohne internationale Prädikate
- Neige&Glace (F) (1,3 HF) Asphalt, Eis und Schnee
- Mistral (F) (1,3 HF) Asphalt
- Sestriere (1,3 HF) Schnee
- East African Safari (1,3 HF) Schotter
- Marokko (1,3 HF) Schotter
- 999 Minuti (1,3 HF) Asphalt und Schotter
- Paris – St. Raphael (F) (1,3 HF) Asphalt
- Villa d’Este (1,3 HF) Asphalt und Schotter
- Ronde Cevenolle (F) (1,3 HF und Zagato) Asphalt
- Alpi Orientali (1,3 HF) Schotter
- Mont-Blanc (F) (Zagato) Asphalt
- Alpe de la Luna (1,3 HF) Schotter
- San Martino di Castrozza (1,3 HF) Schotter
- Elba (1,3 HF) Schotter
- TAP (P) (1,3 HF) Schotter, wenig Asphalt
- Tour de Corse (1,3 und 1,6 HF) Asphalt.
Reinhard Klein hat im Jahr 2000 das dicke Buch „Rally Cars“ veröffentlicht, in welchem er auf 600 Seiten die technischen Details der Fahrzeuge prinzipiell und der einzelnen Marken und Modelle vorstellt – Schwerpunkt Gruppen B und A, aber auch mit Rückblicken auf die Fossile der 1950er- und 1960er-Jahre – Fulvia 1,2 and 1,3 Seite 114 ff, 1,6 Coupé HF Seite 146, F&M Special Seite 178. Die eindrucksvollen Halden von Schraubenfedern und Federbeinen für jede Straßenoberfläche kann man nun den Federn der Fulvia gegenüberstellen, um zu erkennen, was das Reparto Corse an dieser Front unternehmen konnte. Prinzipiell und auch draußen während der Wettbewerbe.
Ich liste hier die Bemerkungen von Gianni Tonti zu den Bewerben des Jahres 1968 in italienischen Originalformulierung auf:
Monte-Carlo: Balestra anteriore – Tipo 818.100 (eleminata la foglio piu Piccolo)/Balestra posteriore – con la centro foglio
Fiori Balestra anteriore – Tipo 818.100 completa di 7 foglie
Akropolis Balestra anteriore – Tipo 818.100 completa di 7 foglie
Vltava Balestra anteriore – Tipo 818.100 senza 1. folglio piccolo
Alpi orientali Balestra anteriore – Tipo 818.100 completa di 7 foglie.
Bei hier nicht angeführten Bewerben wurden die Einstellungen aus vorherigen Rallyes übernommen, ob die Federpakete als „Verschleißteile“ ausgetauscht wurden, weiß ich nicht.
Für die Tour de Corse 1967 wurde aus dem vorderen Federpaket das kleinste Federblatt („piu piccola“) entfernt, dieses Paket nannte Tonti „tipo Corsica“, erwähnte es aber oft nicht. Das Ehepaar Trautmann war mit dieser Einstellung bei den Asphaltbewerben in Frankreich unterwegs gewesen.
Das Federpaket 818.100 = berlina war eines der Standardpakete auch in den folgenden Jahren, wobei die Skandinavier und Italiener oft von einander abweichende Einstellungen fuhren. Für die East African Safari 1969 gab es vorne ein zusätzliches Federblatt, auch hinten wurde durch Einsatz kürzerer Blätter für Aaltonen und Fall modifiziert, um die Bodenfreiheit zu erhöhen. Aber das „kostete“ dem Trainingsfahrzeug TO 900048 mehrmals die Antriebswellen, weil diese am Rahmen streiften. In den späteren Jahren kam wieder vorne das Paket der 1,2 818.140 zum Einsatz, aber auch ein 8. Blatt in abweichender Breiten von 130 oder 140 mm.
Der „Spielraum“ für individuelle Anpassungen Aufhängungen war sichtlich nicht sehr groß. Auch bei den Stoßdämpfern wurde experimentiert, wobei Tonti nicht bei jedem Einsatz die verwendeten Marken protokolliert: Koni vorne, DeCarbon hinten in unterschiedlichen Durchmessern und unterschiedlichen Typen (einfach und doppelt). In Relation zum Mitbewerb war jedoch der Spielraum viel kleiner, es gab keine große Auswahl, damit aber auch keine Gelegenheit zum Danebengreifen und nachfolgender Reue: „Hätten wir doch …“.
E. Marquart / 2.2019
Sehr aufschlußreicher Artikel Hr. Marquart, zeigt er doch die damaligen beschränkten Möglichkeiten trotz Werkseinsatz, die Fulvia zu frisieren. Dafür waren die Autos noch näher an der Serie als in späteren Jahren…