Aus der Zugriffsstatistik unserer site sehen wir, dass „Technik“ das meistgesuchte Thema ist. Unsere Technik-Lade war bisher eher schwach gefüllt, wir versuchen, uns zu bessern.
Josef Wöss stellt sich traditionell herausfordernde Aufgaben – Flaminia aus Kalifornien, Aprilia aus England, Fulvia Berlina aus Italien und aktuell Aprilia aus der Schweiz. Aus der aktuellen Aufgabe ein erster Zwischenbericht, der Sie hoffentlich zu Antworten und Ratschlägen anregt.
Aprilia – Karosserie – Check
Die Aprilia gilt als begehrte Type für Lancia-Liebhaber, da der Wagen den Abschlusspunkt der Vorkriegsepoche bildet (letztes Modell unter Vincenzo Lancia) und gleichzeitig ein echtes „Fahrerauto“ ist.
Viele konstruktive Lösungen stammen noch vom Meilenstein Lambda, die Idee des kleinen Wagens für eine bürgerliche Klasse wurde vom Modell Augusta übernommen. Das bedeutet kurzer Motorraum und Maximierung des Passagierraumes. Für einen leichten Zutritt wurde wieder eine Lösung ohne B-Säule gewählt. Die „Eiform“ zitiert die damals angesagte Mode der Stromlinie und bietet eine gute Steifigkeit der selbst tragenden Struktur (ähnlich einem Monocoque oder auch „Scocca Portante“ genannt). Einen zentralen Punkt spielte auch der Tunnel für die Kardanwelle, welcher die Steifigkeit des Scocca absichert. (Die Lambda war der erste Wagen mit solch einem Tunnel, wodurch damals der Schwerpunkt des Wagens gegenüber Vorläufermodellen niedriger gelegt werden konnte und gleichzeitig die Steifigkeit erhöht wurde).
Beim Kauf einer Aprilia empfiehlt sich eine genaue Inspektion des Wagens an typenspezifischen Problempunkten. Wichtig ist vor allem ein guter Zustand der zentralen Struktur, dem „Scocca portante“.
Ausgangsbasis ist eine Karosserie, vom Werk großteils in 1,5mm Blech ausgeführt, wobei die Bleche an den verbundenen, geschweißten Stellen oft mehrfach übereinander gelappt sind. Die Eiform ergibt eine relativ komplexe Form der Bleche, die an einigen Stellen durch Korrosion besonders gefährdet sind. Ich sehe hier von den Anbauteilen (Kotflügel, Heckklappe, Türen) ab, da Probleme hier normalerweise sofort sichtbar sind.
Ein guter oder schlechter Wagen offenbart sich zumeist „auf einen Blick“ am Kofferraumboden!
Da es über die Heckklappenschaniere, welche unterhalb des zweigeteilten Heckfensters an der Unterseite der Hutablage befestigt sind, leicht zu Wassereintritt kommen kann, steht Feuchtigkeit offensichtlich öfter am Kofferraumboden unterhalb des Ersatzreifens.
An allen Fahrzeugen, welche ich besichtigt habe, haben sich hier tiefe Rostnarben gezeigt. Wenn der Kofferraumboden durchgerostet ist, ist eine Reparatur aufgrund der sickenreichen Blechform anspruchsvoll.
Ich hatte beispielsweise einmal ein Verkaufsobjekt besichtigt, welches äußerlich sehr schön restauriert wurde, lediglich fehlte die Hutablage fast zur Gänze aufgrund des genannten Wassereintritts!
Durch einen Folgeschaden kann der hintere „Rahmen“ für die Achsaufhängung korrodieren (dieser „Rahmen“ in Form eines U-Profils läuft unterhalb des Kofferraumbodens entlang der Innenkotflügel). Diese Stelle kann von unten gut eingesehen werden.
Weitere Check-Punkte:
• Übergangspunkt Schweller/Innenkotflügel/Außenkotflügel hinten und vorne
• Schweller (anspruchsvolle Form in der Nachfertigung!)
• Risse in der Bodenplatte (die zweigeteilte Bodenplatte ist sehr groß, die Versteifungssicken dafür eher unterdimensioniert)
• Kontaktstellen zwischen dem Scocca und den angeschraubten Kotflügel (die kleinen Verbindungsflächen sind über einen Alukeder verbunden, hier kann Kontaktkorrosion Spuren hinterlassen).
In diesem Sinne wünsche ich bei Aprilia-Interesse mehr „Glück“ als ich es hatte!
Es gibt viele Punkte, die für eine Aprilia sprechen: Bauart und Technik sind „einfacher“ als bei Nachkriegsfahrzeugen, die Qualität ist noch höher als bei Fulvia et al., die Ersatzteilsituation ist gar nicht so schlecht, da es relativ wenig fahrende Fahrzeuge gibt.
Josef Wöss / März 2005
P.S.: Ich habe meine Problemeinschätzung der Aprilia Karosserie durch folgende Erfahrungen gesammelt:
a) Zunächst eine sehr marode Aprilia in England erworben, die alle Schwachpunkte unverblümt gezeigt hat.
b) Daraufhin lange nach einem besseren Exemplar gesucht, viele zum Kauf angebotene besichtigt, zumeist Restaurierungsobjekte.
c) Schließlich einen guten Wagen mit intakter Karosseriestruktur erworben, welcher nun instand gesetzt wird. Mehr dazu in weiterer Folge.
Postskriptum von E. Marquart:
Wir protzen nicht mit unserer humanistischen Bildung, die für das Verständnis von Lancia hilfreich – z.B. Typenbezeichnungen -, aber nicht Voraussetzung ist. Der Titel des Beitrages soll ausdrücken, dass Josef Wöss eine einmalige Gelegenheit, wie diese Aprilia eine ist, nicht in unbezahlbare und gewinnorientierte Hände weggeben will.
[Hic Rhodus, hic salta ist aus Äsops Fabeln 203 „Der Prahler“ und 203b „Der prahlerische Fünfkämpfer“ – siehe Büchmanns „Geflügelte Worte“ bei Reclam].