Richtige Spezialisten, die sich auch über schwierige Aufgaben trauen, gibt es u.a. in Wien.
Diese wettbewerbsgezeichnete Lancia Fulvia 1,6 HF bedurfte der Wiederaufrichtung.
In Zeitschriften und teilweise auch Büchern ist es seit einigen Jahren üblich geworden, Titel mit doppelter Bedeutung als Aufhänger zu verwenden, um das Interesse des Lesers zu wecken. „Nackte Tatsachen“ als Überschriften erscheinen eher einfallslos. Auch lancianews ist nicht frei von dieser Eitelkeit.
Was wir heute erzählen wollen, verdiente allerdings mehrere zweideutige Überschriften
• Dichtung und Wahrheit
• Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt (Wilhelm Busch)
• Handwerk hat goldenen Boden
• Sag’ mir, wo die Spengler sind, wo sind sie geblieben?
Helmut Neverla, Lancia-Spezialist aus Wien 12., bis Winter 2010 Eigentümer einer selbstaufgebauten, unverbastetelten Fulvia 1,6 HF – siehe Berichte in „Drivers Journal“ -, Retter der Fulvia-Gemeinde in vielen Fällen, wurde im Sommer 2009 angerufen und gefragt, ob er eine Werks-1,6 HF aus Deutschland, die nach einem Unfall bei einem Bewerb links vorne schwer beschädigt sei, wieder instand setzen könne. Nach der Besichtigung des Fahrzeuges in Bayern – erste Diagnose: ziemlich schlimm, aber möglicherweise nicht hoffnungslos – wurde die Fulvia nach Wien gebracht. Nach Untersuchung der Schäden (außen und innen, oben und unten), Recherche nach Teilen, Spenglern, Lackierern sowie Verhandlungen mit dem Eigentümer, der seinen Schatz am liebsten am nächsten Tag repariert wiederhaben wollte, begannen im Winter die Arbeiten.
Die Fulvia 818.540 001443 mit der Erstzulassung 19.04.1969 auf Lancia Frankreich ist laut den Aufzeichnung aus dem Reparto Corse Lancia keine Werks-Fulvia, [telaio 1411 war im Frühjahr 1970 eingesetzt worden, telaio 1453 im Herbst 1970] hat aber einige Verstärkungen und Teile eingebaut, wie sie die Werks-Fulvias hatten, dafür fehlen aber andere typische Einbauten. Das Auto dürfte mit Wissen über die Werksverbesserungen außerhalb des Reparto Corse (Facetti?) aufgebaut worden sein. Den Weg bis zum heutigen Eigentümer haben wir nicht verfolgt, wir wollten wissen, in welcher Form das Auto präpariert ist – siehe Bericht „Hut ab“ in Drivers Journal vom Mai 2010.
Warum diese kleinkrämerische Nachfrage nach den Präparierungen/Änderungen? Weil durch diese Abweichungen, die zu einem großen Teil „händisch“ und bedingt sachgemäß gemacht wurden, die Instandsetzung zum mühsamen Puzzle wurde, Das Zerlegen ging ja recht flott, doch das Ersetzen der beschädigten „Originalteile“ erforderte langwierige Recherchen und Improvisationskünste. Die bunte Mischung von Serie 1- und Serie 2-Teilen nach vorhergehenden schweren Havarien – teilweise auch vernünftige Verbesserungen wie der elektrische Ventilator der 2. Serie – sowie ein total verbastelter Kabelbaum, der eher durch Zufall als durch Konstruktion funktionierte, beanspruchten Geduld und Geldbörse von Eigentümer und Restaurateur.
Das schwierigste Kapitel waren allerdings die Blecharbeiten. Schon 2008 hatte der Berichterstatter nach einer Havarie mit seiner 1,3 HF den Blechteilebestand Helmut Neverlas deutlich reduziert, es mussten daher bereits vorsorglich requirierte Teilträger zerlegt werden, um dem Spengler die notwendigen Blechteile links vorne anzuliefern.
Und der/die Spengler waren auch das Langzeitproblem der Instandsetzung. Nach Zu- folgten Absagen, Hinausschieben der Arbeiten mit den tollsten Ausreden, Arbeiten mit nicht tolerierbarer Qualität – Österreich, wo sind deine (bezahlbaren) Spengler? Der oft verpönte Weg ins benachbarte Ausland (Ungarn, Tschechien und Slowakei) erscheint nach den vorliegenden Erfahrungen der einzig Erfolg versprechende. Auch der Lackierer sah die Aufgabe lockerer als Helmut Neverla = Iterationen und Zeitverlust.
Wie heißt es so schön in Seminaren für post-mortem-Analysen? Und was lernen wir aus diesem Geschäftsfall? Die Instandsetzung eines 40 Jahre alten Spezialfahrzeuges, von dem gerade 1.256 Stück gebaut worden waren, und an dem undokumentierte „Verbesserungen“ und Änderungen vorgenommen worden sind, ist extrem mühsam geworden. Das Wissen um das Original – ob je so von Lancia gebaut? – und bedarfgesteuerte Änderungen ist bei jedem Fahrzeug neu gefordert, temporäre Improvisationen fallen dem Nächsten auf den Kopf.
Ende Juli 2010 wurde die Fulvia nach Bayern zurückgebracht, hoffen wir, dass der Eigentümer sie wieder erkennt. Die „Nebenarbeiten“ neben den notwendigen Blecharbeiten sollten die Gebrauchstüchtigkeit sicherstellen – eine Werks-Fulvia konnte nicht gebaut werden, aber eine funktionstüchtige und nun wieder unzerknitterte.
E. Marquart / 8.2010
Die Liste der „Abweichungen“ vom Originalzustand soll nicht als „Schwarze Liste“ gesehen werden, denn die Abweichungen sind im Laufe der Jahre eingebaut worden, mit oder ohne Not, wahrscheinlich oft aus Unwissenheit.
• Serie 2-Kühler mit elektrischem, zuschaltbaren Ventilator
• Wechselstromlichtmaschine mit serienmäßger Aufhängung ohne Umbausatz für die Weber-Vergaser
• 40er-Weber-Vergaser ohne Gummiflansche zum Krümmer (werksmäßig 45er)
• Bosch-Zündbox (mit Ersatz)
• Bosch-Zündspule (mit Ersatz)
• Hauptbremszylinder (Mercedes? und Bremsflüssigkeitsbehälter
• Scheibenwaschbehälter aus der Fulvia-Berlina
• Ölkühler-Aufhängung
• hintere Kotflügelverbreiterungen
• Serienmäßige vordere Radaufhängung Mischung mit „weichen Büchsen“
• 90 l-Tank ohne „typische“ Entlüftung über Innenraum
• Verlängertes Schaltgestänge
• Schalensitze und Innenraum als „bunte“ Mischung, „seriennahe“ abgemagert.
Wenn der Berichterstatter seine eigene Fulvia auch so kritisch betrachtet, könnte er einige Häkchen bei den angeführten Teilen machen. Allerdings sind ihm diese Abweichungen bekannt und damit für den „Nächsten“ nachvollziehbar.