Lancia-Sportgeschichte in Frankreich
René Trautmann und Claudine Bouchet. Die beiden französischen Spitzenfahrer brachten Lancia große Erfolge auf Flavias und Fulvias – heute fast vergessen.
Patrik Hellmüller, der Redaktor des Magazins „PRONTO“ des Lancia Clubs Suisse plante im Frühjahr 2012 einen Beitrag über die erfolgreiche Beteiligung des Schweizer Teams Jean-Pierre Dreyfuss/Jean-Paul Massé auf einer Fulvia Sport 1,3 bei französischen „Gleichmässigkeits“-Rallyes. Er wollte den Bericht mit einem Blick in die Lancia-Vergangenheit bei Französischen Rallyes ergänzen – also fragte er bei mir an, ob ich Stoff zu diesem Thema hätte. Ich habe, weil ich im Zuge der Recherchen für mein Flavia-Buch „Schnelle Flavia“ aus 2010 und den Fulvia-Büchern „Fulvia-Puzzle“ aus 2011 und „Sag’ mir, wo die Fulvias waren ..“ aus 2012 natürlich auch die französische Szene der 1960er- und 1970er-Jahre untersucht hatte.
So nah und doch so fern
Wie weit liegt Frankreich von Turin entfernt? Über das Valle de Susa oder Valle d’Aosta sind es ungefähr 200 km, aber die hohen Berge dürften wohl die Ursache sein, dass Lancia in Frankreich im Motorsport in den 1960er- und 1970er-Jahren nicht allzu präsent war. Frankreich hatte und hat eine recht aktive Rallyeszene – es müssen ja nicht gleich neun-fache Weltmeister sein, aber die französische Autoindustrie war motorsportlich stets aktiv: Renault / Renault Alpine (vom 4 CV bis 1.800er Alpine, R5) über Peugeot (102, 205 bis zu den Kitcars) und Citroen (von den ID/DS bis zu den DS3).
Die Bewerbe in Frankreich haben einen bestimmtes Charakter: Rallyes auf kleinen Asphaltstraßen, eng, winkelig, bergig und teilweise mit unübersehbarem Rennprofil. Jedes Bergmassiv hatte/hat seine Rallye mit klingendem Namen: Mont-Blanc, Lyon-Charbonnieres, Neige e Glace, Routes du Nord, Critérium des Cévennes und natürlich die Rallye Monte Carlo, den Coupe des Alpes (bis 1971) und die Tour de Corse.
Lancia begann erst 1963 über die Alpen nach Gallien zu blicken. Zwar waren 1962 und 1963 die Rallye Monte Carlo bestritten worden – 1963 mit großer Mannschaft, darunter zwei Franzosen Bouly und Rosinsky auf Flavia Coupés – sowie die Tour de France, aber richtig los ging es erst 1964. Cesare Fiorio engagierte die beiden französischen Spitzenfahrer/in, beide vorher unabhängig von einander sehr erfolg-reich auf Citroen DS unterwegs waren: Claudine Bouchet, spätere Mme. Trautmann, und „Roi“ René Trautmann. Man stellte den beiden Fahrzeuge zur Verfügung, mit denen sie beginnend mit der Rallye Stuttgart-Lyon-Charbonnieres 1964 bis 1971 (Coupe des Alpes) bei französischen Bewerben starteten. Flavia Coupé 1,8, Flavia Sport, Fulvia HF, 1,3 HF, 1,6 HF und Fulvia Sport. An den Zulassungsnummern der Fahrzeuge kann man erkennen, dass es nur wenige Fahrzeuge waren, die in mehreren Saisonen eingesetzt wurden und entsprechend den Ausschreibungen der Bewerbe unterschiedlich präpariert waren: Gruppe 1 bis Gruppe 6.
Von 1964 bis Beginn 1967 wurden Flavias eingesetzt, Claudine Bouchet fuhr oft um den Coupe de Dames, saß aber auch als Beifahrerin neben René Trautmann
– wie es die Ausschreibungen der Bewerbe ermöglichten bzw. wo die Erfolgsaussichten besser schienen. Auch Rundstrecken- und Bergrennen (Mont-Ventoux) wurden bestritten, mit Flavia Coupès und Sport.
Der „Mut“ des Jahres 1964 war aus der weiten zeitlichen Entfernung gesehen beachtlich:
- Rallye Monte Carlo mit sieben Fahrzeugen (Bester Lancia war Piero Frescobaldi auf Platz 13)
- Rallye dei Fiori mit sieben Fahrzeugen (Bester Piero Frescobaldi als Dritter)
- Rallye Stuttgart- Lyon-Charbonnieres – Doppelsieg durch R. Trautmann und C. Bouchet (Coupé)
- Criterium Alpine – Sieg von R. Trautmann (Coupé)
- Rallye feminin Paris – St. Raphael – Sieg Claudine Bouchet
- Targa Florio – Ausfall des 2l-Prototyps von Cella/Trautmann (# 182)
- Bergrennen Mont-Ventoux – Platz 4 hinter Marco Crosina (Sport)
Coupe des Alpes – Ausfall für Trautmann (Sport) und Bouchet (Coupé) - 24 Stunden-Rennen von Spa – Ausfall bzw. Rückzug nach dem Todessturz von Piero Frescobaldi
- Rallye Spa-Sofia-Liège – Ausfall von C. Bouchet/M.C. Beaumont
- Tour der France – Ausfall von Trautmann und Bouchet, Platz 9 von Hazard/Bouly auf Sport
- Gran Premio Standard in Argentinien – Ausfall aller Lancia (darunter Claudine Bouchet auf einem Coupé)
- Tour de Corse – Ausfall von Trautmann/Bouchet (Coupé)
- Criterium des Cevennes – Ausfall für Trautmann/ Bouchet (Coupé).
Claudine Bouchet wurde 1964 französische Rallye-Meisterin.
Das Sportjahr 1965 brachte beinahe für Lancia und die Paarung Trautmann/Bouchet – Ende 1965 dann Madame Trautmann – den Titel des europäischen Rallyemeisters. Neben acht innerfranzösischen Bewerben wurden in Europa von Jänner bis November zehn internationale Meisterschafts-Rallyes gefahren:
- Monte Carlo (F) – Ausfall [Coupé]
- Fiori (I) – Platz 2 durch Bouchet/Beaumont [Coupé]
- Akropolis (GR) – Platz 3 [Coupé]
- Rallye Genève (CH) – Platz 2 [Coupé]
- Rallye Vltava (ČSR) – Platz 2 [Coupé]
- Coupe des Alpes (F) – Gesamtsieg [Sport]
- Rallye Polen (PL) – Platz 4 [Coupé]
- 1000 Seen Rallye (FIN) – nicht platziert [Sport]
- München-Wien-Budapest (H) – Ausfall [Sport]
- Tour de Corse (F) – Ausfall [Sport]
- RAC Rally (GB) – nicht (mehr) gestartet.
Im Jahr 1966 setzten die Traumanns abwechselnd Flavia und Fulvia ein: neun französische Bewerbe und fünf internationale mit der Flavia, drei französische Bewerbe sowie zwei internationale mit der Fulvia. Die Erfolge hielten sich allerdings in Grenzen – siehe untenstehende Tabelle.
Bei der Rallye Monte Carlo 1967 waren die Trautmanns das letzte Mal mit einer Flavia Sport am Start – Ausfall. Danach kamen nur noch Fulvias – Coupé und Sport zum Einsatz.
Sowohl national als auch international gab es 1967 nicht viele erwähnenswerte Erfolge, Ausfall beim Coupe des Alpes und der Tour de Corse.
1968 lief es deutlich besser, es gab Siege bei der Forez, Jean-Behra und Paris-St. Raphael sowie gute Platzierungen.
1969 wurde mehrheitlich zwar die Sport eingesetzt, es gab gute Platzierungen bei den innerfranzösischen Bewerben, größter Erfolg war der 4. Platz beim Coupe des Alpes mit 1,6 HF-Prototyp, der 18. Platz in Korsika war eher eine Enttäuschung.
Ende 1969 ging die Partnerschaft Trautmann – Reparto Corse Lancia auseinander, Gründe hiefür konnte ich in der Literatur keine finden, Änderung der Prioritäten bei Lancia, übermächtige Konkurrenz durch Renault Alpine in Frankreich oder persönliche Verstimmungen?
1971 startete René Trautmann beim letzten Coupe des Alpes doch wieder auf Lancia, als einsamer Adler, weil Harry Källström nicht starten konnte. Platz 4 als Abschiedsgeschenk.
Die Einsätze mit der Lancia Flavia:
Die Einsätze mit der Lancia Fulvia:
Legende: C = Coupé / Z = Sport (Zagato)
Literatur/Internet
Die umfangreichste „Dokumentation über die Trautmanns“ findet man in dem französischen Internetforum: Forum-Auto.com
und in
- Carlo Stella/Bruno Vettore, Zagato – Fulvia Sport Competizione, 2002, GiorgioNadaEditore
- Ernst Marquart, Schnelle Flavia, Wien, 2010
- Enzo Altorio. Lancia Fulvia HF, 1992, GiorgiaNadaEditore
- Christian Courtel, Critérium des Cévennes 1964 – 1980, 200x, Echappement
- Maurice Louche, 1895-1995 Un Siecle de Grands Pilotes Français, Kapitel René Trautmann.
E. Marquart / 8.2014