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Mit 80 historischen Autos an einem Freitagnachmittag ins Zentrum von Mailand fahren. Keine gute Idee. Muß zweifelsfrei im Chaos enden. Nein – muss es nicht. Der Zagato Car Club hat uns eines Besseren belehrt. Sowas ist möglich. Damit die Teilnehmer des «Raduno Nel Centenario Zagato» geschlossen vom Atelier Zagato in Rho zum Castello Sforzesco mitten in Mailand fahren konnten, hatte der Zagato Car Club eine Polizeieskorte organisiert. Zehn Motorräder und ein Auto sorgten dafür, dass die Zagatos zügig durch den dichten Stadtverkehr kamen. Kreuzungen wurden für uns abgesperrt, Fussgänger mit Polizeisirenen von der Straße ferngehalten, andere Verkehrsteilnehmer mit deutlichen Gesten von Seiten der Obrigkeit beiseite geräumt. Dass die Teilnehmer aus dem deutschsprachigen Raum erst etwas Überwindung brauchten, um rasant an roten Ampeln vorbeizubrausen, versteht sich von selbst.
Vor dem Castello Sforzesco war der riesige Platz für unsere Fahrzeuge reserviert. Nach der interessanten Führung durchs Castello haben uns die Polizisten bis ins Hotel eskortiert und uns auf der Autostrada die Telepass-Schranke geöffnet. Diese rasante Anekdote ist nur eines der Highlights des «Raduno Nel Centenario Zagato». Anlässlich des Raduno feierten wir das 100-jährige Bestehen von Zagato und das 40-jährige Bestehen des Zagato Car Club. Dieser hatte mit Unterstützung des Atelier Zagato und von Andrea Zagato ein einzigartiges Programm zusammengestellt. Entsprechend pilgerten Zagato Anhänger aus der ganzen Welt nach Milano.
Wir waren mit unserer Flavia Sport nach Italien gereist. Wo wir mit der Flavia auch aufkreuzen, gehen wir normalerweise als absolute Exoten durch. Nicht an diesem außergewöhnlichen Treffen. Da gehörten wir mit der Flavia zum soliden Mainstream. Fünf Flavia Sport haben am Treffen teilgenommen. Am besten vertreten waren aber die Modelle Lancia Fulvia Sport, Alfa Romeo Junior Zagato und die Alfa Romeo SZ/RZ aus den Neunzigern. Daneben gab es extrem seltene Autos wie einen Bristol 406 Zagato, einen Siata und einen OSCA mit Zagato Karosserie oder den nur zweimal gebauten Fiat 132 Aster. Auch die beiden Vorkriegsvertreter, ein OM 665 Superba und ein Alfa Romeo 1750 waren Raritäten.
Genauso interessant wie die Autos waren natürlich die Leute, die wir kennengelernt haben. Als ZCC-Novizen (Zagato Car Club) waren wir dankbar, dass uns LCS-Clubkollege (Lancia Club Suisse) Helmut Hohenberger, der seit über zwanzig Jahren im Club verkehrt, eingeführt hat. Darunter die Koryphäe Mario Galbiati, der lange für Zagato gearbeitet hat und sich danach als Restaurator einen hervorragenden Ruf gemacht hat. Als Galbiati während des Apéros im Garten des Hotels mit lässiger Nonchalance in einem Lancia Hyena Spider vorfuhr, trauten wir unseren Augen nicht. Von diesem Auto hatte die Welt bisher nichts gewusst. Der Kilometerzähler zeigte weniger als 3.000 Kilometer und deutete ebenfalls darauf, dass dieses neuwertige Auto bisher meist in einer Garage vor neugierigen Blicken geschützt war.
Im Atelier Zagato trafen wir zudem den Designer Giuseppe Mittino. Zwar ist er weniger bekannt als sein Vorgänger Ercole Spada, doch hat er als langjähriger Designchef das Unternehmen genauso geprägt. Schließlich war er von 1968 bis in die Achtzigerjahre für Zagato tätig, während Spada von 1961 bis 1969 für Zagato wirkte. Besonders schön war, dass Andrea Zagato höchstpersönlich das Treffen begleitete. So hat er nicht nur die Tore zum Atelier Zagato – und sogar zur sonst hermetisch abgeriegelten Fertigung/Montage geöffnet, sondern war während des ganzen Treffens immer wieder dabei. Er gab Auskunft, hat von Büchern über Fotos bis zu Motorhauben alles unterschrieben und wandte sich mit einer emotionalen Ansprache an die Teilnehmer des Treffens. Eine weitere schillernde Persönlichkeit, die Lancianews-Lesern bekannt sein dürfte, berichtete am Gala Diner von der Zusammenarbeit mit Zagato. Es handelte sich um den Rennfahrer und Präparator zahlreicher Rennfahrzeuge Carlo Facetti.
Es gäbe noch viel zu erzählen vom «Raduno Nel Centenario Zagato». Doch wir machen es kurz. Es war ein rauschendes Fest zum hundertjährigen Bestehen des großen Exzentrikers unter den italienischen Blechschneidern. Dass Zagato als einer von wenigen überlebt hat und heute noch einzigartige Designs umsetzt, ist eine wahre Freude. Uns bleibt nur danke zu sagen. Für die vielen einzigartigen Schöpfungen, die Zagato in den letzten 100 Jahren hervorgebracht hat. Und für dieses einmalige Treffen, das der Zagato Car Club mit viel Herzblut und organisatorischem Geschick umgesetzt hat. Viva Zagato!
Patrik Hellmüller / 6.2019