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Beta Berlina – Die ungeliebte Tochter

Aus unserem Archiv des Jahres 2012: eine frühe „Aufmunterung“ aus der Schweiz zur Beschäftigung mit der Modellreihe Beta, die ja von „Alt-Lancisti“ eher mit Nasenrümpfen betrachtet wird.

 

Das Lancianews-Team freut sich sehr, dass der Autorenkreis unserer Site größer und internationaler wird. Patrik Hellmüller, Redaktor und Gestalter des Magazins PRONTO des Lancia Club Suisse, hat uns einen Beitrag zu einem Thema zur Verfügung gestellt, das wir bisher ignoriert haben: Lancia Beta. Wie Herr Hellmüller richtig feststellt, ist für Lancia-Puristen 1969 die Sonne untergegangen, und alle nachfolgenden Typen, die unter der FIAT-Regie entstanden sind, werden großzügig „übersehen“.

In der Familie Hellmüller werden einige hochkarätige historische Lancia beginnend mit Aprilia Spider über Flavia Sport gefahren, jetzt ist eine Beta Berlina dazugekommen: „Ich habe kürzlich ein solches Fahrzeug gekauft und mich daher etwas damit beschäftigt.“

Den aktuelle Status des Projektes beschreibt Herr Hellmüller wie folgt: „Ich persönlich hatte übrigens schon länger ein Auge auf die Berlina geworfen, da ich ein Faible für leicht verschrobene Limousinen habe. So habe ich bereits 2007 eine äußerlich recht gut erhaltene Beta Berlina gekauft. CH-Fahrzeug, rechtsgelenkt (!), Echtleder, Klimaanlage, Radio/Tonband und elektrische Fensterheber. Nach der Zerlegung offenbarte sich ein recht schlechter Zustand (Durchrostung vorne im Fußraum, zahlreiche unsachgemäße Blechreparaturen usw.). Während der letzten anderthalb Jahren habe ich dann mit tatkräftiger Unterstützung von Freunden Teile zusammengetragen, die mit etwas Geduld übrigens sehr günstig aufzutreiben sind. Dazu gehören alle Kotflügel und Seitenbleche fabrikneu, Zierleisten, Kühlergrill, Auspuff, Scheinwerfer usw..

Eigentlich wollten wir gerade mit der finanziell absolut unsinnigen Vollrestauration anfangen, da wurde mir Ende 2011 ein vermeintliches „Schlachtfahrzeug“ angeboten. Doch der Zustand dieser azurblauen Berlina entpuppte sich als sehr gut. Somit bin ich aktuell im Besitz von zwei Beta Berlina 1979 – beide mit dem 2-Liter-Motor.

Das zweite Fahrzeug wurde dann im Dezember mit überschaubaren Aufwand wieder fit gemacht (natürlich übersteigt aber die Rechnung für diese „kleinen Arbeiten“ den aktuellen Marktpreis des Fahrzeuges). Nun sind der Zylinderkopf revidiert, die Verschleißteile ausgewechselt, die Bremsen revidiert, teilweise Stossdämpfer erneuert, neue Reifen und ein paar Kleinigkeiten. Das Auto wurde problemlos vorgeführt und von mir optisch aufbereitet. Gerade habe ich die ersten bisher problemlosen 500 km zurückgelegt.

Momentan tendiere ich dazu das Restaurationsprojekt zu sistieren. Obschon die zweite Berlina viel karger ausgestattet ist und mit der normalen Linkslenkung nicht gar so exotisch wirkt…“

Beta Berlina – Die ungeliebte Tochter

Die Beta Berlina läutete Anfang der Siebzigerjahre eine neue Ära ein – handelte es sich doch um den ersten Lancia, der komplett unter der neuen Konzernmutter Fiat, welche das Weiterbestehen von Lancia sicherte, entwickelt wurde. Während bei der größeren Gamma Berlina noch waschechte Lancia Technik (inklusive Boxer-Motor), deren Serienreife allerdings dem Rotstift der Fiat Ökonomen zum Opfer fiel, zum Einsatz kam, bediente man sich beim Beta teilweise aus dem Lager der neuen Eignerin. Der Motor wurde beispielsweise vom Fiat 124 Sport übernommen, jedoch von den Lancia Ingenieuren maßgeblich verbessert. Das fortschrittliche Fahrwerk, das Getriebe sowie die effiziente Zweikreisbremsanlage waren reine Lancia Entwicklungen. Trotz dieser Features und durchaus positiven Tests in den zeitgenössischen Magazinen wurde die sportliche Limousine von den alteingesessenen Lancisti naserümpfend betrachtet.
Ungeliebt und verstoßen
Nicht eigenständig genug, schlechte Fertigungsqualität, keine raffinierten Techniklösungen à la Lancia, weder V- noch Boxer- sondern trivialer Reihenmotor  – all das musste sich die azurblaue Berlina in ihren jungen Jahren anhören. Kurz: Unsere Protagonistin wurde von Anfang an verstoßen. Dass die Blechkleider vieler ihrer Artgenossen schon nach zwei Wintern faustgroße Löcher aufwiesen, begünstigte das vielerorts katastrophale Image des ersten Fiat-Lancia – insbesondere auf der Insel (they all rusted away…).

Die azurblaue Berlina scheint all das widerlegen zu wollen. Nach 33 Jahren steht sie selbstbewusst da und zeigt sich in einem erstaunlich guten Zustand. Einige Reparaturen am Unterboden sind zu erkennen und das knallrote Kunstlederinterieur ist etwas verschlissen. Ansonsten sieht man ihr die 150 000 schweizerisch genau dokumentierten Kilometer aber kaum an.

Eine späte Versöhnung?
Höchste Zeit also, der Beta Berlina eine zweite Chance zu geben. Schließlich handelt es sich um eine sportliche Limousine mit Technik, die in den Siebzigerjahren durchaus als fortschrittlich galt. Der durchzugsstarke Lampredi-Motor, der auch in allen anderen Beta Modellen sowie in diversen Fiat zum Einsatz kam, hat längst eine treue Fangemeinde gefunden und erlebte in modernisierter Form im Lancia Thema einen zweiten Frühling. Im Zusammenspiel mit dem ausgewogenen Fahrwerk und der hervorragenden Bremsanlage sorgt der Doppelnocker dafür, dass man mit der Beta Limousine auch heute noch äußerst agil unterwegs ist. Auch das Design hat seine Qualitäten. Die Form wirkt mit dem kurzen Vorbau, dem auslaufenden Heck und mit den großen Fensterflächen immer noch frisch – unkompliziert, aber sympathisch. Das vor allem in einer Zeit, in der das Straßenbild von fahrenden Festungen mit grimmigen LED-Fratzen und kleinen schießschartenartigen Fenstern (oder sollte es Sehschlitze heissen?) dominiert wird. Und zu guter Letzt: Sogar die Türe fällt – entgegen allen Vorurteilen – mit einem satten Geräusch ins Schloss. Keine Spur von Scheppern, liebe Fulvia- und Flavia-Fahrer!

Darum: Unsere Beta Berlina trägt ihre Lanze zu recht – davon sind wir überzeugt!

Patrik Hellmüller, Lancia Club Suisse / März 2012

Sollten Sie weitere Informationen zur Beta Berlina nachlesen wollen, können wir im ersten Anlauf empfehlen:

  • Brian Long, LANCIA BETA – A Collector’s Guide, 1991
  • Lancia Pubblicitá e Immagine, La Storia della LANCIA 1906 – 1989, X/89, p 82
  • W.O.Weernink, La Lancia, Kapitel Beta und Gamma, Seite 289
  • Nigel Trow, The Illustrated Lancia, p 177
  • Peter Garnier, Lancia – Compiles from the articles of „Autocar“, p 204
  • Paul Schinhofen, Lancia – Innovation und Faszination, 2006, Seite 82
  • Lancia – Innovation als Firmen-Philosophie, IV/92, Seite 54
  • Lancia. L’armonia e l’invenzione, Turin, 1996, p 165.

Gesammelte Informationen unter: http://www.lancia-beta.de/master.htm
Zum Stöbern: http://www.forum-auto.com/automobiles-mythiques-exception/section5/sujet35594-175.htm

 

  
Lancia-Werbung im „Auto-Jahr“ 1973 und 1974

lancianews plant noch im März 2012 einen Artikel über die Beta Berlina als „Arbeitstier“ für das Reparto Corse Lancia.

 

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