Die Flavia im Bilde
So, wie die Flavia aus der Wahrnehmung der Lancia-Interessenten leise verschwindet, so wenig ist auch die Sportgeschichte der Flavia dokumentiert und „bekannt“. Ja, Lancia setzte zu Beginn der 1960er-Jahre die Flavia bei Rallyes und Rennen ein, aber das ist nirgends aufgezeichnet …
Im Zuge meiner Recherchen zu den Einsätzen des Reparto Corse Lancia mit Fulvias bin ich auch auf wenige Bilder und noch weniger Erwähnungen in der Literatur über die Aktivitäten der HF Squadra Corse mit der Flavia gestoßen. Die Literatur über die Fulvia ist im Gegensatz zu der Flavia-Literatur erfreulich umfangreich, die erfolgreichen Sporteinsätze werden überall aufgelistet, weitere Details jedoch kaum angeführt. Basierend auf den Aufstellungen der vom Reparto Corse eingesetzten Fahrzeuge bei Enzo Altorio und W. Weernink konnte ich mit Hilfe des vorhandenen Bildmaterials die Einsätze weitgehend zuordnen – 79 Fulvias in ungefähr 500 Bewerben zwischen 1965 und 1974. Markenmeisterschaft 1972, Europameisterschaft 1973, italienische Meisterschaften usw. Die bekannte Erfolgsgeschichte.
Um im Fußballerjargon zu fragen: Kamen diese Erfolge ansatzlos aus dem Stand? Nein, denn Cesare Fiorio hatte nach Ende der Aurelia-, D2x und Formel 1-Abenteuer Lancias mit seinen privaten HF-Aktivitäten Ende der 1950er-Jahre langsam den Sport im Hause Lancia wieder salonfähig gemacht. Vor der Fulvia gab es die Appia-, Flaminia- und Flavia-Sporteinsätze, die in der Literatur allerdings eher nur als missing link zwischen Formel 1 und Fulvia behandelt werden. Zu Beginn der 1960er-Jahre wurde auf Rundstrecken mit Appia und Flaminia (Coupé und Sport) ein Fahrerteam aufgebaut, das später über die Flavia bis zur Fulvia bei Rennen und Rallyes eingesetzt wurde. Es war die Zeit, in welcher der Motorsport noch unverständlich viele Opfer forderte, und Lancia wurde von dieser Tatsache besonders getroffen: Piero Frescobaldi († 1964), Franco Patria († 1964), Leo Cella († 1968) und Luciano Lombardini († 1968) waren italienische Spitzenfahrer, die für Lancia fuhren und bereits für höhere Aufgaben im Rennsport herangezogen worden waren. Über Arnoldo Cavallari kam Sandro Munari 1965 zu Lancia, als Leo Cella bereits national und international erfolgreich auf Flaminia über Flavia bis Fulvia unterwegs war.
1960 kam die Flavia Berlina 1,5 auf den Markt, 1961 das Flavia Coupé 1,5, 1962 die Flavia Sport 1,5, 1963 das Coupé 1,8 und 1966 die Sport 1,8 iniezone. Und die Fahrzeuge wurden umgehend im Motorsport eingesetzt. In den spärlich vorhandenen Unterlagen konnte ich ungefähr 130 Einsätze zwischen 1962 und 1967 finden, dazu nur 90 Bilddokumente (mit vielen Duplikaten), aber die Zuordnung Fahrzeug – Wettbewerb anhand der Chassis- und Zulassungsnummern war überhaupt nicht möglich. W. Weernink listet die eingesetzten telaios auf, gibt dazu allerdings keine Zulassungsnummern an, anhand derer man die Fahrzeuge identifizieren könnte.
Was 1962 mit der Berlina zaghaft begann – vier Einsätze von Piero Frescobaldi -, wurde 1963 mit dem Coupé etwas intensiver fortgesetzt – Rallye Montecarlo, Fiori und Tour de Corse neben italienischen Bergrennen (Frecobaldi, Patria). Das Programm 1964 war bereits bunter – Rallye Montecarlo, Lyon – Charbonnieres, Polen, Tour de Corse, die Einsätze von René Trautmann in Frankreich sowie italienische Bergrennen und internationale Rundstreckenrennen. 1965 brachte den Höhepunkt der Flavia-Einsätze (35?) zwischen Montecarlo und Tour de Corse, gemischt Coupé und Sport mit dem größten internationalen Erfolg Coupe des Alpes mit R. Trautmann/C. Trautmann auf der Sport TO 714001 – René Trautmann hatte damit noch Chancen auf den Rallye-Europameistertitel, unterlag aber schließlich Rauno Aaltonen auf Mini Cooper S und trat zum letzten Bewerb, der RAC Rallye in England, nicht mehr an. 1966 liefen bereits die Fulvia-Einsätze an, die Flavia wurde in Montecarlo (2. und 3. Platz nach der Disqualifikation der Minis durch Trautmann/Hanrioud und Andersson/Dahlgren auf Coupés) und auslaufend in Italien und Frankreich eingesetzt. 1967 setzte R. Trautmann in Montecarlo nochmals auf die Flavia Sport, schied allerdings aus. Die Fulvias belegten mit Andersson/Davenport, Cella/Lombardini und Lusenius/Jarvi die Plätze zwei, fünf und acht – die Flavia-Zeit war zu Ende.
Aber die Erfahrungen des Reparto Corse (Management, Team und Fahrer) konnten 1:1 auf die Fulvia übertragen werden – der Tisch war gedeckt. Bis 1992 (Fulvia, Stratos, 037, Delta S4 und Delta). Gleichzeitig holte sich Cesare Fiorio auch Fahrer und Beifahrer von außerhalb Italiens, denn das italienische Fahrerreservoir war für einen Großeinsatz nach dem Tod Luciano Lombardis und damit Ausfall Sandro Munaris nach dem Unfall bei der Rallye Montecarlo 1968 zu klein geworden. Nach dem „Papst“ Ove Andersson, der schon die Flavia fuhr, kamen die „Söldner“ aus Skandinavien und England: P. Toivonen, J. Lusenius, H. Mikkola, B. Söderström, Vic Elford, Pat Moss-Carrlsson, R. Aaltonen, T. Fall, H. Källström, Timo Mäkinen und S. Lampinen – aber das eine andere Geschichte, die wir vielleicht noch in lancianews bringen werden.
Kleine Statistik ohne Anspruch auf Vollständigkeit und Genauigkeit:
130 Einsätze zwischen 1962 und 1967
5 Einsätze der Berlina 1,5 1962 und 1963
75 Einsätze des Coupés 1,5 und 1,8 ab der Rallye Montecarlo 1963
50 Einsätze der Sport (Zagato) ab 1964
36 Einsätze bei 28 Rundstreckenrennen
22 Einsätze bei 21 Bergrennen
68 Einsätze bei 47 Rallyes
9 Gesamtsiege bei Rallyes (Piero Frescobaldi, Leo Cella, Franco Patria, Marco Crosina sowie Claudine Bouchet und René Trautmann)
Literatur:
- A. Manganaro/P. Vinai, Lancia Corse, Mailand, 1998
- Sergio Puttini, Fulvia, Flavia, Flaminia, Mailand, 1989
- Nigel Trow, Lancia Racing, London, 1987
- Wim H.J. Oude Weernink, The Lancia Fulvia and Flavia, London, 1984
E. Marquart / 3.2010
Eine Hinweis zu den obigen Fotos: Die Quellen sind sehr spärlich, einige Fotos sind schamlos aus dem Internet kopiert worden, dort gibt es keine copyright-Hinweise.
Ein sehr erfreulicher Aspekt hat sich nach Fertigstellung dieses Berichtes ergeben. Ich hatte Walter Radler, zweifacher Staatsmeister auf Lancia Appia 1962 und 1963, zu seinem Start in Wien-Aspern 1964 auf einer Werks-Flavia angesprochen, um das Fahrzeug chassismäßig zuordnen zu können. Walter Radler hatte mit einem Griff die Fotos des Flugplatzrennens aus seinem Archiv geholt – TO 595678. Und dazu hat er mir acht Pressefotos von Lancia aus dem Jahr 1966 zur Verfügung gestellt, die hiermit als Originaldokumente wiedergebe. Schwarz-Weiß 13 x 18 cm mit Pressetexten („Waschzettel“ für die Journalisten in Italienisch).
Auf dem Titelbild des Beitrages stand zu lesen:
“Alla Mostra Internazionale della Vetture da Competizione sono esposte allo Stand della Lancia la Fulvia coupé HF con cui Le CELLA e Luciano LOMBARDINI si sono aggiudicati il 6. Rallye Internazionale dei Fiori. La Flavia coupé Pininfarina vincitrice del campionato francese femminile assoluto [Claudine Bouchet-Trautmann] del Rallye Internazionale di San Martino di Castrozza [M. Crosina/C. Maglioli] e di altre importanti competizioni.”
Das Foto vom international bedeutendsten Sieg der Flavia trug folgenden Text:
„René TRAUTMANN e Claudine BOUCHET-TRAUTMANN durante la Coppa delle Alpi 1965 con la Flavia Zagato. In questa gara hanno conquistato il 1o posto di tutte le categorie.“
Und schließlich die Vermarktung des Sieges in San Martino di Castrozza 1965:
„Claudio MAGLIOLI e Marco CROSINA compagni di squadra e protagonisti di numerose vittorie al volante di vetture Lancia hanno conquistato in coppia il 1o posto assoluto al Rallye Internazionale di San Martino di Castrozza.”
Lancianews dankt Walter Radler für die Bereitstellung dieser Originaldokumente, nicht die 97. Kopie aus dem Internet oder Zeitschriften, sondern die vom Werk gestaltete Kommunikation im Originalwortlaut.