Die Österreich-Rallyes
Das Gute liegt so nah – zu mindestens für Lancia bei den Einsätzen in den Österreich-Rallyes: Semperit-Rallye, Rallye der 1000 Minuten, Martha Goldpokal. Überall findet man Lancias ganz oben in den Ergebnislisten.
Im Teil drei meines Rückblickes – siehe Einleitung im März 2013 – beschäftige ich mich mit den österreichischen Europameisterschafts-Rallyes. Die Internationale Österreichische Alpenfahrt habe ich bereits im Mai 2005 beschrieben.
Österreich liegt nahe zu Italien, hatte in den 1960er-Jahren bis 1973 eine Reihe von international renommierten Rallyes mit Meisterschaftsprädikaten zu bieten, also starteten Werks-Wagen aus Turin bei diesen Veranstaltungen. Während die Internationale Österreichische Alpenfahrt bereits früh FIA-Status in verschiedenen Meisterschaften erhielt, wurden die Rallye der 1000 Minuten erst ab 1970 und die Semperit Rallye ab 1971 Läufe zur Europameisterschaft. Also kleine Ausflüge in die Nachbarschaft.
Zur einschlägigen Literatur – auch hier ist die Anzahl der Bücher überblickbar:
- Martin Pfundner, Vom Semmering zum Grand Prix, Wien, 2003, ISBN 3-205-77162-1
- Ernst Marquart, Wie breit sind 1000 Minuten?, Purkersdorf, 2007, ISBN 978-3-85119-309-1
- Ernst Marquart, Wir sind Rallye!, Purkersdorf, 2008, ISBN 978-3-85119-315-2
- Ernst Marquart , Fulvia in Österreich, Wien, 2009 – Eigenverlag.
Die Rallye Bodensee – Neusiedlersee, allgemein wegen des Sponsors Semperit (Österr.-amerikanische Gummiwerke AG) Semperit Rallye genannt, wurde seit 1957 vom Wiener Club ÖASC veranstaltet. Sie war bis Ende der 1960er-Jahre eine Rallye für Privatfahrer, zog bis zu 150 Starter pro Jahr an, war überschaubar, attraktiv und doch herausfordernd durch die Streckenlänge von ca. 1.600 km, die mit nur drei kurzen Pausen zu bewältigen war. Privatfahrer aus ganz Mitteleuropa, aber auch Werksteams aus der DDR oder ČSSR traten an. Erst mit dem Status des Europameisterschaftslaufes 1970 kamen die Werks- und Halb-Werksteams (Irmscher, Alpina) nach Österreich. Und so auch Lancia.
Im Winter 1973/74 brach die erste Energiekrise über Europa herein, die österreichischen Rallyes verschwanden aus dem Sportkalender und kehrten nie mehr in der bisherigen Form wieder.
Ich habe in die folgende Tabelle auch zwei weitere österreichische Veranstaltungen aufgenommen, die zum MITROPA-Cup zählten, der regionale Bedeutung auch für italienische Fahrer hatte.
Jahr | Datum | Bewerb | # | Fahrer/Beifahrer | Erg. | Fahrzeug |
1965 | 13.05. | Semperit | 77 | A. Cavallari/S. Munari |
7 |
Alfa Romeo |
1968 | 30.05. | Semperit | 67 | A.Cavallari/D. Salvay |
4 |
MI |
1970 | 28.05. | Semperit | 21 | S. Barbasio/ M. Mannucci |
8 |
TO B79057 |
1971 | 3.06. | Semperit | 1 | S. Munari/M. Mannucci |
1 |
TO E51664 |
1972 | 6.05. | ÖASC-ELAN | 3 | A. Ballestrieri/A. Bernacchini |
1 |
TO E24265 |
11 | G. Pelganta/ P. Sodano |
– |
TO D20641 | |||
1972 | 8.06. | Semperit | 2 | A. Ballestrieri/A. Bernacchini |
3 |
TO D20641 |
7 | S. Barbasio/P. Sodano |
5 |
TO F35201 | |||
14 | G. Pelganta/B. Maglia |
7 |
TO E51660 | |||
1973 | 28.04. | Martha-GP | 2 | A. Ballestrieri/S. Maiga |
1 |
TO G75937 |
7 | M. Pregliasco/A. Garzoglio |
2 |
TO H23323 | |||
1973 | 31.05. | Semperit | 10 | M. Pregliasco/P. Sodano |
– |
TO H23323 |
Die Rallye der 1000 Minuten blühte von 1964 bis 1968 im Verborgenen, hatte sich aber bei Kennern einen tollen Ruf geschaffen. Bis 1966 huldigte man dem Spa-Sofia-Liège-Prinzip mit den überschneidenden Öffnungszeiten, danach der Selektion auf Kurzetappen Marke Coupe des Alpes. Ergebnis waren Ausfälle bis zu 80% der Starter. Erst als auch hier der Europameisterschaftsstatus angestrebt wurde, kehrten „zivilisierte“ Verhältnisse mit Sonderprüfungen auf abgesperrten Straßen ein, die selektiven Kurzetappen bleiben aber Charakteristikum der Rallye.
Jahr | Datum | # | Fahrer/Beifahrer | Ergeb. | Fahrzeug |
1970 | 16.10. | 8 | A. Ballestrieri/D. Audetto |
11 |
TO D41887 |
12 | H. Källström/G. Haggbom |
4 |
TO B98543 | ||
16 | S. Lampinen/M. Mannucci |
1 |
TO D41888 | ||
1971 | 15.10. | 1 | A. Ballestrieri/A. Bernacchini |
– |
TO E24264 |
2 | S. Barbasio/P. Sodano |
– |
TO E51664 | ||
4 | S. Munari/M. Mannucci |
1 |
TO B99805 | ||
17 | H. Neverla/D. Audetto |
– |
TO A81339 | ||
1973 | 26.10. | 1 | A. Ballestrieri/S. Maiga |
abges. |
|
3 | S. Munari/M. Mannucci |
abges. |
TO H25670 | ||
24 | ? |
abges. |
Bunte Geschichten gab es von allen drei Einsätzen. 1970 war die Rallye auch Lauf zur italienischen Rallye-Meisterschaft, bei der S. Barbasio (Lancia) und D. Paganelli (FIAT) in Führung lagen, beide konnten in Österreich wichtige Meisterschaftspunkte erreichen. Dann fiel Barbasio aus privaten Gründen aus – seine Firma war von einem Hochwasser betroffen – und es musste ein Ersatz für ihn gefunden werden. Das Los traf Simo Lampinen, Sieger der TAP Rallye. Das Reglement der FIA schreibt allerdings vor, dass nicht beide Fahrer eines genannten Fahrzeuges getauscht werden dürfen. Also musste Lampinen mit dem Standard-Beifahrer Barbasios Mario Mannucci starten – und der sprach kein Wort Englisch. Die beiden Sprachkünstler siegten trotz keiner gemeinsamen Sprache.
1971 musste wegen der Meisterschaftspunkte die Klasse Gruppe 4 bis 1.600 ccm, in welcher Sandro Munari starten sollte, sicher „aufgefüllt“ werden. Das geschah mit dem vollen Team der HF Squadra Corse: Ballestrieri/Bernacchini + Barbasio/Sodano + H. Neverla/D. Audetto (Einsatzleiter). 100 Meter nach der Startlinie fuhren die drei Klassenfüller wieder nach Hause, Aufgabe erfüllt – und Munari gewann die 1000 Minuten 1971.
1973 unterbrach Munari den Giro d’Italia für die Rallye der 1000 Minuten, die zur Europameisterschaft zählte, und reiste nach Wien, trainierte die Sonderprüfungen – und dann wurde die Rallye wegen fehlender behördlicher Genehmigungen acht Stunden vor dem Start abgesagt! Munari fuhr fuchsteufelswild sofort mit dem Rallyeauto zurück nach Italien.
Die Ausflüge von Lancia nach Österreich waren rückblickend erfolgreich, ein Sieg von Simo Lampinen 1970, zwei Siege von Sandro Munari 1971, je ein Sieg von Ballestrieri 1972 und 1973. Das Reparto Corse wurde lokal von der Citroen- und Lancia-Vertretung Karl Obrecht in Wien unterstützt, Helmut Neverla war damals mit der ganzen Mannschaft – Fahrern, Beifahrern und Mechanikern – unterwegs, vom Streckentraining bis zu den Siegesfeiern.
E. Marquart / 5.2013
Die Fotos sind großteils aus dem Archiv des Technischen Museums Wien – Nachlässe Artur Fenzlau und Erwin Jellinek:
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