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Wenn man heute im Fernsehen, in Magazinen oder in „freier Wildbahn“ Rallyeautos sieht, dann sieht man sehr bunte, bis zum letzten Quadratzentimeter bemalte Werbeträger, die an exakt vorgeschriebenen Stellen des Fahrzeuges ein paar Kleber für die Identifikation tragen. In diesem Kaleidoskop sind jedoch Startnummer und Fahrernamen kaum zu erkennen – maßgebend sind die größtmöglichen Werbeflächen für die Sponsoren. Die beworbenen „Produkte“ stehen meist in keinem Zusammenhang mit Sport oder Hersteller des Fahrzeuges – die Zeiten der Rauchwaren-Werbung sind ja längst vorbei.
Wer sich auf die freie Wildbahn begibt, hat sich meist vorher informiert, wer und was da jetzt vorbeifliegen sollte, in den Magazinen gibt es dann Stehbilder, aber im TV fliegen die buntbemalten Kisten so schnell vorbei, dass man nahezu gar nichts identifizieren kann. War das jetzt ein ?, oder doch ein ?. Die in Sicherheits-vermummten Käfigen eingezwängten Fahrer und Beifahrer kann man auch nicht erkennen, ist daher auf mehr oder fachmännische Kommentare angewiesen.
Das war allerdings bis Beginn des Sportjahres 1969 nicht so. Bis zu diesem Zeitpunkt war Werbung auf den Fahrzeugen und der Bekleidung der Fahrer/Beifahrer nicht erlaubt. Bestenfalls im Zusammenhang mit dem Bewerber (Hersteller, Zubehörerzeuger und Clubs) gab es „zarte“ Kleber, die als Werbung interpretiert werden konnten. „Nackt“ und bloß waren die Fahrzeuge, so konnte der Zuschauer sofort erkennen, was und wer vorbeifuhr. Die weißen Volvos (544 und 122 S), Saab (96) und roten Minis mit weißem Dach waren unverkennbar, die Identifikation mit der Marke war dadurch leichter und wesentlich größer.
Nach dem Rückzug von Lancia 1955 (den F1-WM-Titel durfte Ferrari mit den D50 1956 gewinnen), gab es nur sehr selten private Lancias bei Rennen und Rallyes, offizielle nur in Ausnahmefällen (Monte-Carlo und Akropolis). Als Cesare Fiorio 1962 international die Rückkehr der Marke wagte, geschah dies unter dem Namen „HF Squadra Corse“ zuerst mit Flaminia und Appia, ab 1962 mit dem Flaminia Coupé PF, ab 1963 mit dem Flavia Coupé und etwas später mit der Flavia Sport. Reglements konform zierten HF Kleber die beiden vorderen Kotflügel und teilweise auch das Heck. Enzo Altorio hat in seinem Buch „Lancia Fulvia HF“ aus 1992 die Logos des Clubs basierend auf Gianni Lancias Elefantinos in den unterschiedlichen Ausprägungen zwischen 1967 und 1973 dargestellt.
Die folgende Bildzusammenstellung zeigt das Auftreten der Lancia-Fahrzeuge bei Rallyes und Rennen bis Herbst 1972. Pünktlich zum Internationalen Markenmeisterschaftstitel 1972 konnte Cesare Fiorio den Vertrag mit der Tabakfirma Philip Morris abschließen, ab Oktober 1972 erschienen die Fulvias als Zigarettenschachteln „Marlboro“. Die Zigarettenwerbung war im Rallyesport angekommen, Colin Chapman hatte den Weg 1968 mit seinen John Players Special in der Formel 1 geebnet. Rothman`s, Gitanes, Colt und HB sollten folgen.
Mit der Flaminia und Flavia wurden nur wenige Jahre gefahren, die äußere Erscheinung der Fahrzeuge wurde dabei kaum gegenüber der Serie geändert, bei der Fulvia, die von 1965 bis 1974 werksseitig eingesetzt wurde, sind der technische Wandel (Gruppe 1 bis Gruppe 4) und Moden deutlich zu erkennen. Da Gianni Tonti erst im November 1967 die Leitung des Reparto Corse Lancia, sind die Anfänge nur bildmäßig nach eher mühsamen Recherchen zu dokumentieren, auch das Jahr 1973 beschreibt Tonti nicht mehr detailliert, der Stratos hatte die Priorität 1 erhalten, die Fulvias lieferten nur noch Rückzugsgefechte (Sandro Munari Europameister und Amilcare Ballestrieri italienischer Meister).
Was könnte einem interessierten Bildbetrachter im Laufe der Jahre auffallen, woran kann er die Fahrzeuge identifizieren? Dass die vorderen Nummerntafeln in Italien „kitzeklein“ waren, weiß jeder. Damit war ein Bild von hinten hilfreicher – und die Tatsache, dass die Werksfahrzeuge meist bis zum „bitteren“ Ende ihre Turiner Kennzeichen behielten, halfen hierbei. Die Übergänge von HF zu 1,3 HF bzw. 1,6 HF waren teilweise fließend, Zulassung und telaio überschnitten einander zeitlich. So kam TO A64383 (telaio 818.340 002000) kam als 1,3 HF im Herbst 1968 zur Welt, erster Einsatz war bei der Tour de Corse mit Källström/Häggbom als 1,6 HF Prototyp. Sie „verlor“ im März 1969 ihr Dach und mutierte zur F&M n2, die bei der Targa Florio, 1.000 km Nürburgring, Mugello und der Tour de Corse 1969 eingesetzt wurde.
- Wagenfarbe: HF und 1,3 HF wurden in Amaranto Montebello mit den Turiner Streifen gelb-blau-gelb eingesetzt. Die 1,6 HF wurden in Rosso Corsa belassen, der Turiner Streifen entfiel. Es gab nur eine Fulvia, die nicht rot war: Rosemary Smith/Alice Watson bei der Rallye Monte-Carlo 1971 = Tony Fall/Mike Wood Safari Rally 1971 in silber = TO B79056.
- Front- und Heckblech: Zu Zeiten ohne Mobilfunk wurden die Fahrzeuge an der Wagenfront und am Heck individuell lackiert, dass die Mechaniker die kommenden Fahrzeuge schneller erkennen konnten: B. Tour de Corse 1967 – Cella/Barbasio weiß, Andersson/Davenport hellblau, Toivonen/Tiukanen orange und Munari/Lombardini schwarz (Davenport/Klein, Rallying 1967)
- Motorhaube: “Irgendwann” ab der Targa Florio 1970 folgte auch Lancia der Mode der mattschwarzen Motorhauben, mit dem zusätzlichen weißen Schriftzug „LANCIA“ – zuerst wie auf einer Holzkiste, ab Herbst 1970 dann ordentlich lesbar. Ab der Rallye Sanremo 1971 schmückte der große weiße Schriftzug „LANCIA ITALIA“ die schwarzen Hauben der Werks-Fulvias. Diese Adjustierung hielt bis September 1972 zur Österreichischen Alpenfahrt. Zur Rallye Sanremo 1972 erschienen die sechs Fulvias in Sponsor-Livre „Marlboro“, die das gesamte Fahrzeug von Bug bis Heck einschloss: Motorhaube, Dach, hintere Kotflügel mit den Namen von Fahrer und Beifahrer und den Kofferraumdeckel.
- Motorhaube „Jolly Club“: Der italienische Jolly Club setzte über viele Jahre Fulvias ein, Arnaldo Cavallari wurde 1968 auch italienischer Meister (1962 bis 1964 war er Alfa Romeo Giulietta gefahren). Die weißen Motorhauben mit dem Streifen in den italienischen Nationalfarben hoben sich deutlich von den Werks-Bemalungen ab.
- Marlboro blieb bis Ende 1974 der offizielle Sponsor für Lancia – Squadra Marlboro Lancia – auch Beta und Stratos waren zu Beginn Zigarettenschachteln.
- Startnummernfelder an beiden Wagentüren: große Kreise, zuerst in gelber Farbe, dann in weiß
- Kotflügelverbreiterungen: Die Lancia-typische schmale Bereifung (Flavia 4 ½ x 15″, Fulvia 4 ½ x 14″) wich schnell breiteren Leichtmetallfelgen, für welche die Kotflügel durch homologierte Plastikbögen verbreitert werden mussten (von 4 ½ bis 7 Zoll breite Stahl- und Magnesium/Aluminium-Felgen). Der Raum in den Radkästen reichte hierfür bald nicht mehr aus und die Kotflügel mussten bis zur oberen Kante ausgeschnitten werden. Der Irrweg, von 14 auf 13 Zoll zu wechseln, brachte allerdings vor allem auf schlechten Straßen mehr Nach- als Vorteile.
- Zusatzscheinwerfer: Die Sportgesetze änderten sich im Laufe der Zeit, gruppenabhängig waren zeitweise mehr als zwei Zusatzscheinwerfer erlaubt, z.B. in Korsika und bei anderen Gruppe 5-Bewerben. Zu Beginn wurde brav mit Abdeckungen ohne Firmenlogos, dann unübersehbar Carello (schwarz und weiß) oder Cibie (Trautmann, 1973) gefahren. Für Puristen auch Cibie mit den schwarzen Abdeckungen.
- Rallyetafeln: In der beschriebenen Periode gab es meist Rallyetafeln aus Blech oder steifem Plastik, die eher mühsam an der Karosserie zu befestigen waren: kleben vielleicht, mit Schrauben befestigen – wo, wie? Bei der Fulvia wich schnell der kleine HF-Zierstab vorne auf der Motorhaube, hinten wurde die Rallyetafel innen an der Plexiglas-Heckscheibe befestigt, mal links, mal rechts. Ob beim Abmontieren nicht gleich die Scheibe draufging?
In früheren Berichten hatte ich mich bereits mehrmals besserwisserisch als Schreibtischhengst über die eifrigen Fans lustig gemacht, die beliebig oft und meist eher ungenau die Werks-Bemalungen auf ihren Fulvias nachmachten. Ein Minimum an Geschichtsbewusstsein sollte doch vorhanden sein, Munaris Nummer 14 steht seit 1972 im Lancia-Museum, aber wie viele Kopien unterwegs sind, lässt sich nicht zählen. Meist genügt ein kurzer Blick auf die Kotflügel und das Armaturenbrett, um die vergewaltigten 1,3 S zu erkennen.
E. Marquart / 3.2022
Toller Artikel! Vielen Dank – dieses Detailwissen vermisse ich in der heutigen, kurzlebigen Zeit leider sehr oft.
Guten Abend Herr Thaller,
danke für das unverdiente Lob. Zusammensetzen von einigen Bildern. Eine unverbastelte 1,6 HF mit Gruppe 3-Verbreiterungen und Cromodora-Felgen gefällt mir aber besser!
MfG
E. Marquart
Wiederum sehr lesenswert!
Sollte einmal ein Fulvia Coupe in meine Hände gelangen, weiß ich wo ich die Details finde!
LG P. Toifl