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Vor dem Abschluss meiner Berichte über die Fulvia-Einsätze des Reparto Corse Lancia noch ein eher eigenartiges Thema, das je nach Blickwinkel ernsthaft, heiter, bedauernd oder besserwisserisch gesehen werden kann.
Im Zuge der Erstellung unseres Buches über Amilcare Ballestrieri und seine Fulvia-Zeit 2017/18 arbeiteten Francesca Pasetti und ich einige Zeit fleißig an der Übersetzung meines deutschen Textes ins Italienische. Die „Fachsprache“ des Rallyesports ist mit Google, Duden, „Leo“ & Co nicht einfach zu übersetzen, denn einzelne, umgangssprachliche Begriffe sind so länderspezifisch, dass z.B. auch unsere deutschen Brüder die Österreicher (wieder einmal) nicht verstehen.
Eine der häufigsten Ausfallsursachen im Rallyesport ist wohl das unfreiwillige Verlassen der Straße und das nicht mehr rechtzeitige Zurückkommen auf den rechten Weg. Oftmals auch wegen nachhaltiger Kaltverformung des Autos. In Österreich verwendet man dafür den Begriff des „Ausreitens“, vom Reitsport herkommend, wenn Ross und Reiter sich im Gelände fortbewegen. Als ich meine Texte mit der Formulierung „Ballestrieri ritt aus“ nach Italien schickte, kam nach einiger Zeit die vorsichtige Rückfrage von Francesca „wo ist das Pferd?“. Ich übersetzte dann ins Hochdeutsche: „unfreiwilliges Verlassen der Straße“ – sie antwortete: si, si – ora capisco! Uscita di strada!
Nun wusste ich, dass ich meine Texte „übersetzbar“ ins Englische übertragen musste, um den Text brauchbar in Italienisch formulieren zu können. Das Buch wurde im Frühjahr 2018 rechtzeitig fertig. Dabei verwenden die Engländer auch eine Fachsprache, die die Übersetzungshilfen nicht kennen: würden Sie „marooning“ mit Aufenthalt im Gelände übersetzen? Ich durfte Texte von John Davenport für Reinhard Klein übersetzen und stieß dabei auch auf einige bildhafte Formulierungen, die ich nur durch den Zusammenhang einordnen konnte.
Um endlich zum Titel des Artikels zu kommen: sind Fulvia-Fahrer auch „ausgeritten“, war das eine häufige Ausfallsursache? Interessanterweise gibt es nur wenige Fotos von zerknitterten, festsitzenden Fulvias – aus Pietät oder der schlichten Tatsache, dass die Fotografen nicht zur Stelle waren, als die Ausritte passierten. Gianni Tonti notiert in seinem Buch „Reparto Corse Lancia“ gewissenhaft die Ausfallsursache „uscita di strada“ und auch das weitere Schicksal des Fahrzeugs, wenn es danach unbrauchbar geworden war. Das bunteste Beispiel für die Weiterverwendung einer kaputten Fulvia war TO A81338, die von Tony Fall bei der Rallye Monte-Carlo Ende Jänner 1969 heftig deformiert worden war – siehe Titelbild – und Anfangs März 1969 mit Harry Källström die Rallye Sanremo gewann! Tonti protokolliert „la vettura è andata distrutta“ und „montato una scocca nuova“. Die Fulvia erlebte noch weitere sechs Einsätze, war Muletto für Ballestrieri und wurde im November 1970 an die kaufmännische Direktion abgegeben.
Zusammenfassend kann man sagen, dass nicht allzu viele Fulvias in den Wettbewerben zerknittert wurden, erst in der Endphase 1972 und 1973 mussten die Fahrer durch sehr hohen Einsatz die Unterlegenheit der am Ende ihrer Entwicklung stehenden Fahrzeuge ausgleichen, was vor allem bei Amilcare Ballestrieri zu mehreren Ausfällen geführt hat, für den italienischen Meistertitel 1973 wurden zwei Fulvias (TO G75937 und TO H25669) „geopfert“.
Ich bringe jetzt keine „vollständige“ Aufstellung der Ausritte, das wäre zwar dank Gianni Tontis Protokolle fast lückenlos möglich, nur einen kleinen Bilderbogen zum späten Voyeurismus der Langsamfahrer.
E. Marquart / 1.2020
Sehr schöner Bericht !
Mal abseits der Straße wo viele gar nicht mehr
mitkriegen was alles so passiert.
Danke !