Italienische Heldensagen – Teil 1

Italienische Heldensagen – Teil 1

3 Apr, 2012

Italienische Straßenrennen von gestern

Ähnlich wie Le Mans waren die italienischen Straßenrennen weltweit mit einem Nimbus umgeben, der Rennfahrer und Marken zwingend anzog. Und als Italiener musste man dort erfolgreich sein, wollte man sich beweisen – Targa Florio in Sizilien – erster Teil der Heldensagen.

Italienische Straßenrennen: Targa Florio 1936 - Gesamtsieger Constanino Magistri auf Augusta

Italienische Straßenrennen: Targa Florio 1936 – Gesamtsieger Constanino Magistri auf Augusta

 

Es gibt einen bösen, chauvinistischen Spruch über drei Länder, über drei Unmöglichkeiten: Englische Kochbücher, amerikanische Kultur und italienische Heldensagen. Hiezu hat sicher jeder eine eigene Meinung bzw. eigene Erfahrungen: Über die englische Küche schweigt man besser, die amerikanische Kultur hat unser (tägliches) Leben so geprägt, dass wir uns selbst als kulturlos bezeichnen würden, wenn wir …. Aber die italienischen Heldensagen!?

Im Zuge der Recherchen zu meinen Büchern über die Sportgeschichte der Marke Lancia habe ich „einige“ Bücher durchgeblättert, bin in Internetforen gesurft, immer auf der Suche nach unbekannten Fotos, Ergebnissen und Berichten über Wettbewerbe, die Lancia werksseitig oder durch Unterstützung von Privatfahrern bestritten hatte. Ich habe Sie mit einigen „Ergebnissen“ dieser Recherchen schon mehrfach belästigt, auch nach über 10 Jahren sind nicht alle Fahrzeuge zuordnet. Z.B. die frühen Fulvia 1,3 HF vom Frühjahr 1967. Es bleiben Fragen offen, durch beliebig intensives Surfen hoffe ich noch immer – auch in Abstimmung mit italienischen und französischen Gleichinteressierten – die „Geheimnisse“ klären zu können.

Lancia bestritt nach 1950 werksseitig mit Aurelia, D20/D24, ein wenig Appia und Flaminia, Flavia und schließlich mit Fulvia auch Rennen, bis sich einerseits diese Rennen überlebt hatten und andererseits Rallyes bei Lancia die erste Priorität erhielten. Das änderte sich mit Erscheinen des Stratos wieder, doch nach 1974 waren alle italienischen Straßenrennen vom Sportkalender verschwunden.

Wie komme ich zur Assoziation „italienische Heldensagen“? Wenn Sie die Internetforen nach Targa Florio, Circuito del Mugello und Mille Miglia durchforsten, finden Sie Unmengen von Informationen zu Personen, Marken und Fahrzeugen, die sich fast grundsätzlich von anderen Typen von Rennen unterscheiden. Die Straßenrennen Italiens waren richtige Mutproben, mit hohem Prestigewert für Fahrer und Werke, aber auch Privatfahrer. Sie hatten eine eigene Klientel, die sich bei anderen Rennen auch bewährten (Le Mans, Langstreckenrennen, Carrera Panamericana), aber oftmals Spezialisten für diese italienischen Rennen waren.

Mille Miglia (1927 – 1957) – eine Runde mit 1.600 km, Targa Florio (1906 – 1977) acht Runden á 72 km und Mugello (1914 – 1970 mit Unterbrechungen) acht Runden á 66 km waren „untrainierbare“ Rennstrecken auf Landstraßen, welche nur am Wettbewerbstag gesperrt waren, und das nicht wirklich durchgängig und sicher. Lokalkenntnis (bei 1.600 km?), langjährige Erfahrung und oft nicht nachvollziehbarer Mut waren notwendig, um an der Spitze dabei zu sein. Das Training war bereits ein Ritt über den Bodensee, aber auch beim Rennen lauerte hinter jeder uneinsehbaren Kurve eine Überraschung durch langsame, defekte Fahrzeuge oder Zuschauer.

Vor 1950 waren alle Einsätze auf Lancias „Privatvergnügen“ der Starter, mit der Aurelia änderte sich das Bild, mit dem Rückzug aus dem Rennsport 1955 überließ man wieder den anderen Marken das Feld: Abarth, Alfa Romeo, Ferrari, ganz wenig Maserati und ganz viel Porsche, solange die Targa Florio zur Weltmeisterschaft zählte.

Ich habe drei Bewerbe ausgewählt

  • Targa Florio (Sizilien)
  • Circuito Mugello (Toskana)
  • Mille Miglia (Brescia – Rom – Brescia),

im Teil 1 werden die Heldentaten in Sizililien vorgestellt, im Teil 2 Mugello und die Mille Miglia.

Targa Florio:

Italienische Straßenrennen: "Blumige" offizielle Streckenskizze" der "kleinen" Madonie-Runde.

Italienische Straßenrennen: „Blumige“ offizielle Streckenskizze“ der „kleinen“ Madonie-Runde.

Der Rundkurs an der Nordküste Siziliens wurde in vier Varianten gefahren: Große Runde (148 km), Mittlere Runde (108 km), Giro di Sicilia (ca. 1.000 km) sowie kleine Runde (72 km) ab 1951. (Einzel)Start und Ziel waren in Cerda. Folgende Siege wurden auf Lancia-Fahrzeugen errungen:

  • 1936 – Constantino Magistri – Augusta (# 6) –  20. Dezember 1936 – 2 Runden a 144 km – 67,192 km/h.  4 Augusta am Start
Italienische Straßenrennen: Felice Bonetto 1952 - die letzten Meter mit letzter Kraft geschoben

Italienische Straßenrennen: Felice Bonetto 1952 – die letzten Meter mit letzter Kraft geschoben

  • 1952 – Felice Bonetto – B20 (# 34) –  29. Juni 1952 – 8 Runden a 72 km – 80,024 km/h.  3 Aurelia B20, 1 „Paganelli Sport“ am Start
Italienische Straßenrennen: Umberto Maglioli - Matador der Targa Florio, Beifahrer, vielfacher Sieger - hier 1953 auf D20

Italienische Straßenrennen: Umberto Maglioli – Matador der Targa Florio, Beifahrer, vielfacher Sieger – hier 1953 auf D20

  • 1953 – Umberto Maglioli – D20 (#76) –   14. Mai 1953 – 8 Runden a 72 km – 80,635 km/h.  3 D20 (Taruffi, Bracco, Bonetto), 6 Aurelia B20, 1 750 Sport (??) am Start
Italienische Straßenrennen: Start in Cerda - Abschied von Frau Isabella - Piero Taruffi

Italienische Straßenrennen: Start in Cerda – Abschied von Frau Isabella – Piero Taruffi

 

  • 1954 – Piero Taruffi – D24 – # 76-  30 Mai 1954 – 8 Runden a 72 km – 89,929 km/h.  1 D24 (Castelotti) und 14 Aurelia B20 am Start
Italienische Straßenrennen: Der einzige Stratos-Sieg 1974 - Ballestrieri und Larousse

Italienische Straßenrennen: Der einzige Stratos-Sieg 1974 – Ballestrieri und Larousse

  • 1974 – Amilcare Ballestrieri/Gerard Larousse – Stratos – # 1 –  9. Juni 1974 – 7 Runden a 72 km – 109, 946 km/h.  3 Stratos (Munari/Andruet, Pregliasco/Paleari), 1 Fulvia Sport, 7 Fulvia am Start.

In den Jahren nach 1954 waren viele Lancia am Start, mit Aurelia, Appia, Flaminia, Flavia und Fulvia auch regelmäßig wieder Werkswagen. Es wurden Prototypen wie die Fulvia F&M entwickelt, welche genau auf diese Bewerbe zugeschnitten waren.

  • 1955 – 4 Aurelia B20
  • 1956 – 1 Aurelia B20
  • 1957 – 4 Aurelia (darunter N. Vaccarella!), 4 Appia (P. Taruffi mit Frau als Gesamtzweite!)
Italienische Straßenrennen: 1957 - Piero Taruffi mit Frau Isabella Zweite hinter einer Alfa Romeo Giulia

Italienische Straßenrennen: 1957 – Piero Taruffi mit Frau Isabella Zweite hinter einer Alfa Romeo Giulia

  • 1958 – 3 Aurelia B20
  • 1959 – 1 Flaminia 2,5
  • 1960 – 2 Aurelia B20, 2 Appia Zagato
  • 1961 – 3 Flaminia Zagato 2,5, darunter G. Cabianco/Elio Zagato(!)
  • 1962 2 Aurelia B20, 3 Flaminia Zagato (P. Frescobaldi, C. Fiorio, d’Angelo/Elio Zagato)
  • 1963 1 Aurelia B20, 3 Flaminia Zagato, darunter L. Cella/F. Patria
Italienische Straßenrennen: Flavia-Zagato-Prototyp 1964 - Cella/Trautmann - ausgeschieden

Italienische Straßenrennen: Flavia-Zagato-Prototyp 1964 – Cella/Trautmann – ausgeschieden

  • 1964 3 Flaminia Zagato 2,5, 2 Flavia Sport-Prototypen (Cella/Trautmann und Crosina/ F. Frescobaldi)

Für jedes teilnehmende Fahrzeug das entsprechende Modell - Made in Italy   Für jedes teilnehmende Fahrzeug das entsprechende Modell - Made in Italy
Für jedes teilnehmende Fahrzeug das entsprechende Modell – Made in Italy

  • 1965 1 Flaminia Zagato 2,5, 1 Flavia Sport (Maglioli/Crosina – 18. Platz)
  • 1966 10 Fulvia, darunter Cella/Marzi – 11. Platz, Maglioli/Crosina – 23. Platz
  • 1967 17 Fulvia, darunter Maglioli/Crosina – 12. Platz, Munari/Andersson, Pinto/Marzi
Italienische Straßenrennen: Pat Moss-Carlsson/Rosadella Facetti 1968 - Platz 19

Italienische Straßenrennen: Pat Moss-Carlsson/Rosadella Facetti 1968 – Platz 19

  • 1968 11 Fulvia Sport, darunter Munari/Pinto – 11. Platz, Barbasio Platz 14, Maglioli/ Crosina Platz 15, 1 Fulvia Moss-Carlsson/R. Facetti – 19. Platz
Italienische Straßenrennen: 1969 - das Jahr der Barchettas, Platz 9 für Munari/Aaltonen

Italienische Straßenrennen: 1969 – das Jahr der Barchettas, Platz 9 für Munari/Aaltonen

  • 1969 2 Fulvia F&M Special (Munari/Aaltonen – Platz 9, Maglioli/Pinto ausgesch.), 9 Fulvia Sport (darunter Jimenez/T. Fall Platz 18)
  • 1970 4 1,6 Fulvia (Munari/Maglioli – Platz 9, Pinto/Ballestrieri – Platz 43), 4 Fulvia Sport, 5 1,3 Fulvia
Italienische Straßenrennen: 1970 - R. Pinto/J. Ragnotti - ausgeschieden. Frühling in Sizilien!

Italienische Straßenrennen: 1970 – R. Pinto/J. Ragnotti – ausgeschieden. Frühling in Sizilien!

  • 1971 6 1,6 Fulvia (darunter Munari/Maglioli und Pinto/Ragnotti – ausgesch.), 3 Fulvia Sport, 4 1,3 Fulvia
  • 1972 3 1,6 Fulvia, 2 Fulvia Sport, 2 1,3 Fulvia, 1 Spezial – keine Werksbeteiligung.  Gesamtsieger Munari/Merzario auf Ferrari 312 P
  • 1973 1 Stratos Munari/Andruet – Platz 2, 5 Fulvia, 1 Fulvia Sport
Italienische Straßenrennen: 1974 - Lancia nicht mehr als underdog - Sieg durch Ballestrieri/Larousse

Italienische Straßenrennen: 1974 – Lancia nicht mehr als underdog – Sieg durch Ballestrieri/Larousse

  • 1974 3 Stratos (Ballestrieri/Larousse – 1. Platz, Palearo/Pregliasco – 4. Platz, Munari/ Andruet – ausgesch.), 2 1,6 Fulvia, 3 1,3 Fulvia, 1 Fulvia Sport
  • 1975 2 Stratos, 4 1,6 Fulvia, 3 Fulvia Sport, 4 1,3 Fulvia, 1 Spezial
  • 1976 3 Stratos, 3 1,6 Fulvia, 1 Fulvia Sport, 5 1,3 Fulvia
  • 1977 3 Straos, 1 1,6 Fulvia, 4 1,3 Fulvia.

Die gesammelten, fast “offiziellen” Informationen über die Targa Florio finden Sie gut aufbereitet unter http://www.targaflorio.info/ und http://www.targapedia.com/ .

Die bunte Welt der Fans spiegelt sich u.a. in folgenden Foren mit tollen privaten Fotos, Modellen, Zeitungsausschnitten, aber oft endlosen Wiederholungen der gleichen Motive:
http://www.forum-auto.com/sport-auto/histoire-du-sport-auto/sujet378358.htm
http://www.forum-auto.com/sport-auto/histoire-du-sport-auto/sujet379179.htm .

Die Unabwägbarkeit der Verhältnisse, die nicht vorhandenen Sturzräume, teilweise schlechte Straßenverhältnisse, vergleichweise lange Vollgasstrecken, unterschiedliche Wetterbedingungen während des Bewerbes waren rallyeähnlich, doch dort saßen zwei Personen in dem Auto, mit zunehmend besser werdenden Roadbooks bzw. Streckenaufzeichnungen. Doch bei den Straßenrennen waren nach 1945 die Fahrer alleine, Passstraßen, Ortsdurchfahrten, endlose Kurvenfolgen, fehlende Kommunikation mit der Box und eine oft nicht optimale Fahrzeugtechnik stellten spezielle Anforderungen dar, denen nicht jeder gewachsen war.

Neben der Literatur, Werksdokumentation – soweit vorhanden (Porsche) – sind es die Berichte der Zeitzeugen entlang der Strecke, die heute in Internetforen ein so lebendiges Bild zeigen, dass man die Atmosphäre wirklich greifen kann. Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt, nostalgisch verklärt (mit unzulässigen what–if-Argumentationen) und eine unüberschaubare Fangemeinde, nicht unangenehm chauvinistisch – für jeden ist da etwas dabei. Neidlos werden die Leistungen wie z.B von Mercedes Benz 1955 (Moss/Collins) und der Porsche (mit internationaler Besetzung) bei der Targa Florio immer wieder zitiert.

Italienische Straßenrennen: Isabella Taruffi beglückwünscht ihren Piero bei der Zielankunft 1954

Italienische Straßenrennen: Isabella Taruffi beglückwünscht ihren Piero bei der Zielankunft 1954

 

E. Marquart / 4.2012

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