Voller Einsatz im herbstlichen Großbritannien

Voller Einsatz im herbstlichen Großbritannien

19 Apr, 2014

 

 

Voller Einsatz im herbstlichen Großbritannien

Die Rallye-Europameisterschaft umfasste 1968 acht Läufe, bei denen Lancia am Start war. Der letzte und härteste Bewerb war die RAC Rally im November, zu dem Lancia mit fünf Fulvias antrat – und mit wehender Fahne unterging …

 

RAC Rally 1968: Aaltonen/Liddon - Zweitschnellste auf dem Rundkurs Ingliston

RAC Rally 1968: Aaltonen/Liddon – Zweitschnellste auf dem Rundkurs Ingliston

Reinhard Kleins Classic Kalender 2013 zeigte im September ein Foto von Harry Källström/Gunnar Haggbom mit der Fulvia 1,3 HF TO 970370 von der RAC Rally 1968 – „airborne“ = Dynamik aus den britischen Wäldern. Lancia hatte immer eine große Beziehung zum britischen (Welt-)Meisterschaftslauf, der so ganz anders als die anderen Läufe in Europa war. Mit vollem Einsatz wurden die Fulvias im kalten, nassen November in die britischen Wälder geschickt – und der Aufwand lohnte sich oft, auch wenn der Einsatz meist sehr hoch war.

 

RAC Rally 1968: Mikkola/Aho auf dem 1,6-Prototyp - ausgeschieden

RAC Rally 1968: Mikkola/Aho auf dem 1,6-Prototyp – ausgeschieden

Was war bei der RAC Rally anders als im übrigen Europa? Die Sonderprüfungen fanden abseits der öffentlichen Straßen auf privatem Gelände statt und konnten nicht vor der Veranstaltung in herkömmlicher Weise durch mehrmaliges Abfahren trainiert werden, die Fahrer fuhren daher ins Unbekannte. Von Berichterstattern, Zeitzeugen aber auch den Teilnehmern wurden die Veranstaltungen in den englischen Schlossparks und britischen Wäldern als Höhepunkte der Vor-Gruppe-B-Ära bezeichnet. Anfang der 1960er-Jahre „entdeckten“ die Veranstalter die privaten britischen Forststraßen als ideale Spielwiese für ihre Rallye – weg von den verkehrsreichen Straßen, Vermeiden des dichten Verkehrs auf schmalen Straßen, „unbekannte“ Prüfungen in „schwerem Geläuf“, Versuch der Schaffung von Chancengleichheit für alle Teilnehmer durch „Untrainierbarkeit“ der Sonderprüfungen. Natürlich hatten britische Teilnehmer Vorteile, weil die Prüfungen der RAC auch bei anderen lokalen/regionalen Bewerben gefahren wurden. Das nutzten in den 1970er-Jahren die großen Autohersteller wie Ford, Porsche und Audi und beschickten mit ihren Spitzenleuten diese lokalen Bewerbe, um so für die RAC Streckenkenntnis zu erhalten.

RAC Rally 1968: Pat Moss-Carlsson/Elizabeth Nyström - nach Überschlag ausgeschieden

RAC Rally 1968: Pat Moss-Carlsson/Elizabeth Nyström – nach Überschlag ausgeschieden

Ein anderer Weg war die Verpflichtung englischer Beifahrer bei den ausländische Teams, denn die Beifahrer brachten u.a. auch Streckenkenntnis mit. Diese Methode nutzte Sandro Munari mehrmals: 1967 sollte George Harris aus Belgien beifahren, die Rallye wurde allerdings wegen Maul- und Klausenseuche abgesagt. 1968 saß Geraint Philips, ein britischer Journalist, neben Sandro, 1969 John Davenport (bereits Sieger mit Simo Lampinen 1968), 1970 Tony Nash ein britisches Urgestein. Danach im Stratos saßen meist die Standardbeifahrer Mannucci, Sodano und Maiga neben dem großen Meister.

Die großen Dominatoren der RAC Rally kamen – mit einer Ausnahme Roger Clark – aus Skandinavien. Die Siegerliste ist das „who is who“ des Rallyesports: Eric Carlsson (3x), Tom Trana (2x), Rauno Aaltonen, Bengt Söderström, Simo Lampinen, Harry Källström (2x + vier Platzierungen unter den ersten Fünf), Timo Makinen (3x) und Hannu Mikkola (4x) in chronologischer Reihenfolge.

Um uns endlich dem Jahr 1968 zu nähern, will ich ganz kurz – die Geschichten sind schon beliebig of erzählt worden – die Jahre bis 1968 erwähnen.

  •    1965 hatte man R. Trautmann und C.Bouchet auf Flavia Coupés genannt, doch wegen der nicht mehr vorhandenen Chancen auf die Europa-Meisterschaft auf den Start verzichtet.
  •    1966 wurden zwei Fulvia HF genannt: Leo Cella/F. Sager (aus Schweden) und Ove Andersson/John Davenport – Cella/Sager schieden aus, Andersson/Davenport kämpften mit allen   Kräften, um schließlich die zerfallende Fulvia auf dem 7. Platz ins Ziel zu bringen
  •    1967 erschien die HF Squadra Corse in voller Stärke: Cella/Barbasio, Toivonen/Tiukannen, Munari/Harris und Andersson/Davenport. Wegen Maul- und Klauenseuche wurde die Veranstaltung abgesagt und nur ein Schaulaufen für die BBC veranstaltet.

1968 war eher ein durchwachsenes Jahr für Lancia, die 1,3 HF war zu schwach für die Konkurrenz (Alpine, Ford Escort, Porsche 911) und die 1,6 HF kam nicht und kam nicht …. Neben den Siegen bei regionalen Rallyes in Sestriere, la Plata, Jean Behra, Paris – St. Raphael, Forez und TAP brachte nur der 3. Platz beim Marathon de la Route Hoffung. Auch die „Spielwiese“ Tour de Corse, bei der auch Prototypen zugelassen waren, war bestenfalls ein Hoffnungsschimmer durch den 2. Platz von Aaltonen/Liddon und den 7. Platz von Pat Moss-Carlsson/E. Nyström. Die anderen drei 1,6 HF waren aus verschiedenen Gründen ausgeschieden.

Eine Woche nach Korsika fand die RAC Rally statt, wenig Zeit für’s Wundenlecken nach der Tour de Corse. Es wurden fünf andere Fulvias in unterschiedlicher Ausrüstung nach London gebracht, darunter das TAP-Siegerauto (1,3 HF) von Tony Fall für Pat Moss-Carlsson und das erfolgreiche Marathon-Auto (dort 1,6 Prototyp) für Källström/Haggbom als 1,3 HF, beide für die Gruppe 3, die drei anderen Wagen waren neu, telaio 818340 2004 bis 2006, mit folgender Ausstattung (laut Aufzeichnungen von Gianni Tonti aus Carlo Stellas Archiv):

Scheda n. 009

RAC Rallye  (16. – 20. November 1968)

# 5 TO A65472 – telaio 002004 (ex 1300 HF):

Mikkola/Aho – n.c.
Si è ritirato per noie al cambio

# 3 TO A65743 – telaio 002005 (ex 1300 HF):

Aaltonen/Liddon – n.c.
Idem sopra, differisce per: 2-Cambio a 4 marce, rapporto 8 x 41 ravvicinato-  invertito molla 16 kg
NOTE: Rottura turbazione scarico, è uscitas una marcia in curva e il
motore è andato fuori giri sostitutione dell’assale posteriore (deformato).

# 4 TO A65744 = telaio 002006 (ex 1300 HF):

Munari/Philips – n.c
Idem sopra, differisce per: 2-Cambio a 5 marce,
rapporto 8 x 41
NOTE: Rottura turbazione scarico – è uscito di strada

# 23 TO 970373 = telaio 001278: Moss/Nyström – n.c.

# 25 TO 970370 = telaio 001273: Källström/Haggbom – n.c.

 

RAC Rally 1968: Munari/Philips 1,6 Prototyp - ausgeschieden

RAC Rally 1968: Munari/Philips 1,6 Prototyp – ausgeschieden

Ausgeschrieben waren neben den FIA-Gruppen 1 bis 3 auch eine „Club-Klasse“ und die Gruppe 6. Es gab 114 Nennungen, 96 Starter fuhren über die Startrampe, 4.000 km mit 87 Sonderprüfungen waren an fünf Tagen zurückzulegen, eine Nächtigung in Edinborough war vorgesehen. Wegen des London–Sydney-Marathons, der wenige Tage nach der

RAC gestartet wurde, waren die Werksteams von BMC und Ford nicht am Start, aber Saab, Porsche, Lancia und Wartburg traten in voller Stärke an.

Das Ergebnis ist durch die obige Aufstellung bereits vorweggenommen, das für mich Interessanteste sind die Sonderprüfungsergebnisse. Lancia war bis zur SP 67 von 87 stets mit bei der Musik dabei, da leider keine Zeiten in dem Bericht genannt werden, den ich als Grundlage für diesen Artikel genommen habe, müssen die Positionen reichen. Nach SP 67 scheint kein Lancia mehr in den Listen auf: Munari abgerissener Auspuff + Ausritt, Aaltonen abgerissener Auspuff + Kupplungsschaden und überdrehte Maschine, Mikkola abgerissener Auspuff und Getriebeprobleme, Pat Moss-Carlsson Ausritt und schließlich Källström mit zerbrechender Karosserie + Ausritt.

Interessant zu vermerken ist, dass diese Fulvias teilweise „überlebt“ haben!

  •    TO 970370 – war bis Ende 1969 noch zwei Mal im Einsatz
  •    TO 970373 – Ende der offiziellen Laufbahn
  •    TO A65744 – bis Ende 1969 noch sechs Mal im Einsatz, Sieg bei der San Martino di Castrozza Munari/Bernacchini
  •    TO A65743 – bis Ende 1970 noch neun Mal im Einsatz (Claudio Maglioli als 1,3 HF)
  •    TO A65742 – bis Ende 1969 noch drei Mal im Einsatz – u.a. Sieg und Disqualifikation Fall/Liddon bei der TAP 1969.
RAC Rally 1968: Aaltonens nahes Ende - Motorschaden (Foto T. Gardiner)

RAC Rally 1968: Aaltonens nahes Ende – Motorschaden (Foto T. Gardiner)

Ein fast „unbekanntes“ Kapitel sind die Getriebe der Fulvias bei der RAC 1968. Die Gruppe 3-Fulvias hatten die „serienmäßigen“ Getriebe laut Homologierung (Übersetzung 8/41), aber die Prototypen hatten unterschiedliche Getriebe eingebaut:

  •    Mikkola 5-Gang ohne Zusatz (9/43)
  •    Aaltonen 4-Gang (8/41) mit zwei zusätzlichen Übersetzungen (Vorschaltgetriebe)
  •    Munari 5-Gang (8/41) mit zwei zusätzlichen Übersetzungen (Vorschaltgetriebe).

Das Zusammenspiel (zu geringe) Motorleistung bei sehr hoher Drehzahl mit einer bedingt flexibler Getriebeabstimmung des Vierganggetriebes – zwei Gesamtübersetzungen Coupé = 10/37 oder Berlina = 8/41 – und unzählige Abstufungen ergaben wohl keine wirklich befriedigende Lösung bei den unterschiedlichen Anforderungen der Rallye in England. Ob da die Vorschaltgetriebe eine Verbesserung brachten? Diese konnten nicht für homologierten 1,3 HF eingesetzt werden, wo sie am notwendigsten gewesen wären.

 

RAC Rally 1968: Källström/Haggbom - "noch" flott unterwegs (Foto T. Gardiner)

RAC Rally 1968: Källström/Haggbom – „noch“ flott unterwegs (Foto T. Gardiner)

 

Leider erwähnt keiner der Chronisten (N. Trow, E. Altorio, P. Casucci) diese Getriebe-Experimente, aber Gianni Tonti zeigt in seinem im November 2013 erschienenen Buch „Reparto Corse Lancia“ im Band 2 Seite 22 sein technisches Protokoll dieser Rallye, dort findet man alle Details der Fahrzeug-Ausrüstung.

 

 

 

 

RAC Rally 1968: Schauen Sie auf den Knick unter dem linken hinteren Ausstellfenster

RAC Rally 1968: Schauen Sie auf den Knick unter dem linken hinteren Ausstellfenster

Als erklärter Harry-Källström-Fan haben mich die SP-Ergebnisse beeindruckt, mit der schwächeren 1,3 HF fuhr er ganz vorne mit, bis …. die Fulvia zerfiel. Die Fotos zeigen die Beanspruchung der Hinterachsaufhängung durch die weiten Sprünge, die wenigen Schrauben und die schmale Befestigungsbrücken hielten der Beanspruchung nicht stand. Der linke hintere Kotflügel knickte in der Höhe des Heckfensters ein. Die notwendige Verstärkung wurde 1969 umgehend homologiert.

Bei den 67 SP erreichten Källström/Haggbom vier erste, sieben zweite, sieben dritte, vierzehn vierte und achte fünfte Plätze = bei 60% der SP war er unter den ersten Fünf. Zum Vergleich Aaltonen/Liddon: 17 erste, 12 zweite, 12 dritte, vier vierte und vier fünfte Plätze = bei 73% der SP war er unter den ersten Fünf! Beide erreichten die sechs Kurzetappen innerhalb der vorgeschriebenen Sollzeit.

Das Bildmaterial ist großteils aus dem Archiv von Thomas Popper, der in seinem Archiv die privaten Fotos der Mechaniker des Reparto Corse Lancia hütet, alles in herrlich realistischem Schwarz in Grau, very British.

 

E. Marquart / 4.2014

 

 

 

 

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